■ Nachschlag: Walter Schmidinger las aus Thomas Bernhards „Verstörung“
Etwas bemüht und krumm in aktuelle Politikdiskurse reingezwängt wirken sie ja, die Vorzeichen, die der Thomas-Bernhard- Veranstaltungsreihe von ihren Organisatoren eingeschrieben worden sind. Erinnern wolle man an die „kulturpolitische und politische Bedeutung eines Künstlers in einer Zeit des Umbruchs in Europa“, und „nicht zuletzt die Künstler der entstehenden ,Berliner Republik‘ könnten durch Bernhards „wunderbare Penetranz“ und seinen „unerhörten Ton“ lernen. Bernhard hat den politischen Umbruch in Europa nicht mehr erlebt, er starb im Februar 1989, und wahrscheinlich hätte er sich herzlich bedankt, für solcherart Ansinnen als Vorbild in Anspruch genommen zu werden.
Bernhard-Festwochen sind es trotzdem geworden. Denn ob Kino, Theater oder Lesesaal, zu klein scheinen die jeweiligen Veranstaltungsorte alle zu sein. So fanden auch am Montag im Literaturhaus bei der Bernhard-Lesung des österreichischen Schauspielers Walter Schmidinger nicht alle Anwesenden einen Sitzplatz. Schmidinger liest zuerst aus Bernhards zweitem Roman „Verstörung“, ein „kraftvoller“ Vortrag aus einem Buch, das wiederum seine Kraft nicht unbedingt vor dem Hintergrund von Kulturpolitik und Politik entwickelt. Lebens- und Schriftelixier sind hier wie in allen frühen Arbeiten von Bernhard Krankheit und Tod, Wahnsinn und Zerfall. Schmidinger trägt vor, was „die Ebenhöh'“ dem Arzt erzählt, der zusammen mit seinem Sohn an die Krankenbetten der rückständigen, „auf die ordinärsten Körperexzesse hin konstruierten Steiermark“ eilt. Muß man beim Lesen von Werken wie „Frost“, „Amras“ oder eben „Verstörung“ in wirklich stabiler Gemütsverfassung sein, so darf hier auch mal gelacht werden. Schmidingers lebendiges Vorlesen fesselt und betont auch die komische Elemente der Bernhardschen Tiraden. Auch der Abschnitt aus „Der Keller“, den Schmidinger als zweites vorliest, würde sich in seiner allzuoft gefeaturten Aussichtslosigkeit („es ist egal, ob einer an einem Preßlufthammer oder einer Schreibmaschine zugrundegehe“) im stillen Kämmerlein sicher anders darstellen.
Die kurzen Prosastücke aus dem Band „Der Stimmenimitator“ zeigen Bernhard dann von seiner humorvollen, wenn auch makabren Seite; Stücke, wie Schmidinger anmerkt, „bei denen man nicht weiß, ob man lachen oder weinen soll“. Am Ende verbeugt er sich vor einem direkt hinter ihm hängenden Bernhard-Porträt, und einmal mehr kann die Frage, ob man Bernhard weiterhin gern und für immer und ewig liest, ohne sich umzubringen, nur mit einem eindeutigen „Ja!“ beantwortet werden. Gerrit Bartels
Am 16. und 17.9 um 20 Uhr im Literaturhaus, Fasanenstr.23
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