„Rechsextreme Wähler sind Gesinnungstäter“

■ Im politischen Alltag sind „Republikaner“, DVU und NPD in Berlin kaum aktiv. Dennoch schätzt der Rechtsextremismusexperte Richard Stöss ihr Wählerpotential auf sechs bis sieben Prozent

taz: Bei der Bundestagswahl treten in Berlin erstmals alle drei rechtsextremen Parteien an. Wie präsent sind Reps, NPD und DVU hier?

Richard Stöss: Wenn man es über eine längere Zeit betrachtet, kann man nicht von großen Aktivitäten reden. Jetzt wird mobilisiert, aber das beschränkt sich auf den Wahlkampf. Auch wenn Parteien wie die NPD auf aktive Leute zurückgreifen können, die einiges an Straßenwahlkampf auf die Beine stellen können, mit politischem Alltag hat das nichts zu tun.

Trifft das auch auf die „Republikaner“ zu?

In gewisser Weise schon. Natürlich sind die Reps in Berlin viel bekannter als die beiden anderen Parteien, das zeigt sich auch in Umfragen. Mit DVU und NPD können die Leute wenig anfangen. Das liegt aber vor allem daran, daß die „Republikaner“ 1989/90 große Erfolge hatten und seitdem hier das Symbol für parteipolitischen Rechtsextremismus sind.

Haben deshalb die Reps in Berlin auch die besseren Wahlchancen? Oder gilt hier das Muster: die Reps für die Biedermänner, die DVU für die Ewiggestrigen, die NPD für die Neonazis?

Diese Aufteilung gilt eher für die Bundesebene. In Berlin hatten die „Republikaner“ in ihrer Erfolgsphase eine enorme Sogwirkung im rechtsextremen Lager. Inzwischen haben die Funktionäre und Mitglieder der Reps aber eine starke Neigung zur DVU, weil sie eine finanziell attraktive Partei ist und medienmäßig besser rüberkommt. Diejenigen, die die Systemalternative stellen wollen, gehen zur NPD. All das hat sich bei den Wählern aber noch nicht herumgesprochen. Für sie sind die „Republikaner“ interessanter, weil sie bekannter sind. Ob das so bleibt, hängt auch davon ab, ob Herr Frey seine Ankündigung wahr macht und allen Wählern Material nach Hause schickt.

Nach einer Untersuchung Ihres Instituts, die Sie im Juli vorgestellt haben, sind elf Prozent der Berliner Wahlberechtigten rechsextrem eingestellt. Das heißt, sie könnten eine rechtsextreme Partei wählen. Wie viele werden es tun?

Ich schätze, daß es in Berlin im Augenblick ein Potential von sechs bis sieben Prozent gibt, Forsa nennt sogar zehn Prozent. Die Frage ist, ob sich eine der drei Parteien durchsetzen kann. Bei einer Wahl auf Landesebene könnten die Reps das schaffen, bei der Bundestagswahl gehe ich davon aus, daß sich die drei Parteien gegenseitig blockieren. Aber das ist schwer abzuschätzen, denn viele der Menschen geben bei Umfragen nicht zu, daß sie rechtsextrem wählen wollen. Dazu stehen zur Zeit in Berlin nur drei bis vier Prozent.

Welche Gruppen wählen rechtsextrem?

Als Faustregel gilt: zwei Drittel Männer, ein Drittel Frauen; vor allem junge Leute aus der Unterschicht, Azubis, Arbeiter, einfache Angestellte, Arbeitslose. Im Westen aber auch mittlere und obere Altersgruppen. Deshalb scheinen die Wahlchancen für Rechtsextreme im Westteil der Stadt besser zu sein.

Sind also nur die alten Arbeiterviertel für rechtsextreme Wahlkämpfer interessant?

Aus den vergangenen Wahlen und aus Umfragen wissen wir, daß es vor allem um Schichten geht, die vom sozialen und technologischen Wandel betroffen sind. Besonders anfällig sind die Trägerschichten der klassischen Schornsteinindustrien. Erfolge sind vor allem in den Bezirken zu erwarten, wo besonders viele Arbeiter, Handwerker und kleine Gewerbetreibende wohnen. Das macht aber nur rund 70 Prozent der Wähler rechtsextremer Parteien aus. Dazu kommen Wähler aus bürgerlichen Schichten, die Privilegien zu verlieren haben und sich durch die Globalisierung, den Euro und die Entwertung des Nationalstaats bedroht fühlen. Deshalb werden die Reps auch in Charlottenburg oder Steglitz gewählt.

Nach der Wahl heißt es dann wieder, das seien alles Protestwähler. Was halten Sie von dieser Erklärung?

Das hängt davon ab, was man darunter versteht. Es stimmt, daß viele rechtsextreme Wähler den etablierten Parteien einen Denkzettel verpassen wollen. Was aber nicht stimmt, ist, daß sie keine Gesinnungstäter sind. Diese Wähler sind überwiegend stark rechtsextrem eingestellt. Protest und Überzeugungstat schließen sich nicht aus.

Womit locken die Rechten ihre Wähler eigentlich? Mir scheint, in ihrer Werbung nimmt die Bedeutung der sozialen Frage zu.

Das stimmt, es gibt einen programmatischen Wandel. Und nur dadurch lassen sich die augenblicklichen Erfolge der rechtsextremen Parteien erklären. Bis 1995/96 sind sie in Ostberlin und in Ostdeutschland noch mit den alten Westthemen aufgetreten. Der Millionär Frey wäre damals nie auf die Idee gekommen, das Thema Arbeitslosigkeit anzusprechen. Die NPD hat 1996 sogar ein neues Parteiprogramm verabschiedet, in dem sie die soziale Neuordnung Deutschlands und das Recht auf Arbeit für alle Deutschen fordert. Die DVU ist in Sachsen-Anhalt genau mit diesen sozialen Fragen erfolgreich gewesen. Dabei werden soziale Fragen mit rassistischen Elementen verbunden. Interview: Sabine am Orde

Der Politikwissenschaftler Richard Stöss ist Rechtsextremismus- und Parteienforscher an der FU.