Ziegen und saudische Prinzen

Am unruhigen Horn von Afrika gibt es ein Land, das funktioniert: Somaliland. Aber der Staat leidet unter internationaler Nichtanerkennung und einer Handelsblockade  ■ Aus Berbera Ilona Eveleens

Drei Kamele stehen totenstill am Ufer des Roten Meeres. Um sie herum wirbelt ein wütender Sandsturm. Ein paar hundert Meter weiter haben Arbeiter im Hafen Schutz gesucht gegen die peitschenden Sandkörner. Die Wellen und der Wind donnern zwei Schiffe grob gegen den Kai. Als der Sturm sich legt, lungern die meisten Arbeiter weiter ziellos auf dem Hafengelände herum. Es gibt zuwenig Arbeit.

Vor einem halben Jahr war noch viel Betrieb in Berbera, dem wichtigsten Hafen von Somaliland. Lebendes Inventar wie Kamele, Ziegen und Schafen wurden hoch an Bord der wartenden Schiffen gehoben, mit Saudi-Arabien als wichtigstem Ziel. Seitdem hat aber Saudi-Arabien ein Importverbot erlassen für Vieh aus Ostafrika. Vor dem saudischen Importverbot schlug Berbera für ungefähr 200.000 Mark monatlich Import- und Exportprodukte um – heute ist es weniger als die Hälfte.

„Anfang dieses Jahres brach in Ostafrika das Rift-Valley-Fieber aus, eine tödliche Viehkrankheit“, erklärt Hafendirektor Ali Omar Mohammed. „Somaliland selbst war zwar vom Fieber nicht betroffen, aber die saudische Maßnahme ging auch gegen uns und besorgte unserem Land große wirtschaftliche Schwierigkeiten. Wir haben nämlich eine Monowirtschaft. Neunzig Prozent unserer Bevölkerung sind Nomaden, die Vieh züchten. Das ist unser wichtigstes, besser gesagt unser einziges Exportprodukt.“

Im Büro von Ali Omar Mohammed muß die Klimaanlage tüchtig arbeiten, um die Hitze draußen zu halten. Mit einem besorgten Gesicht kaut der Hafendirektor auf einem Bleistift. Er fragt sich, wie lange er noch die 240 Hafenarbeiter bezahlen kann. Andere Arbeit gibt es für sie nicht.

Ein Lichtpunkt für Somaliland ist ironischerweise der andauernde Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea. Äthiopien meidet die Häfen von Eritrea und ist für den Zufuhrtransport jetzt auf das kleine Dschibuti angewiesen. Der Hafen von Dschibuti ist aber nicht nur sehr teuer, sondern kann den zusätzlichen Betrieb nicht bewältigen. Die äthiopische Regierung führt daher jetzt Gespräche mit den Hafenautoritäten von Berbera. „Jetzt schon trifft ein Teil des Brennstoffes für Äthiopien hier ein“, sagt der Hafendirektor. „Aber solche Sachen entwickeln sich äußerst langsam, und unser Hafen ist nicht gut genug ausgestattet, um alle Schiffstypen hier zu empfangen.“

Nicht nur die Stadt Berbera lebt von dem Hafeneinkommen – auch die Regierung Somalilands in der Hauptstadt Hargeisa im Binnenland ist beinahe völlig abhängig vom Viehexport. Da Somaliland als Staat international kaum anerkannt ist, kann es in finanziell schlechten Zeiten nicht auf die Hilfe der Weltbank oder des Internationalen Währungsfonds zurückfallen. Bloß eine Handvoll Staaten haben Somaliland formal anerkannt. Ein Paradox: Internationale Anerkennung genießt das eigentliche Somalia, wo es keine funktionierende Regierung gibt, nicht jedoch die relativ stabile Abspaltung im Norden.

Traditionelle Institutionen haben in Somaliland den Platz des Staatsapparates eingenommen. Verhandlungen zwischen den religiösen Führern und Klanältesten haben einen friedlichen Demokratisierungsprozeß in Gang gesetzt. Die Zentralregierung in Hargeisa hat eigentlich bloß zwei Aufgaben: die Sicherheit und das Eintreiben von Steuern. In Berbera sind wenig Waffen auf der Straße sichtbar. Vor dem Büro des Bürgermeisters steht ein einziger Wachsoldat mit einem AK-47-Gewehr lässig über der Schulter. Seine Wachsamkeit gilt hauptsächlich den beiden jungen weiblichen Beamten.

Der 40jährige Bürgermeister Abdalla Ali Ahmed raucht eine Zigarette nach der anderen. Sein Englisch verrät, daß er sein Wirtschafsstudium in den Vereinigten Staaten gemacht hat. Er meint, daß das saudische Importverbot für Vieh aus Somaliland schon lange aufgehoben worden sein müßte, weil die Viehkrankheit ausgerottet ist. „Aber einige saudische Prinzen haben Viehzüchtereien in Australien und Neuseeland. Jetzt, wo wir als wichtigster Lieferant von Fleisch weggefallen sind, machen die Prinzen gute Geschäfte. Die leisten natürlich Widerstand gegen eine Aufhebung des Verbots.“

Abdalla Ali Ahmed hat einigen seiner Beamten den Auftrag gegeben, Alternativen für den Viehexport zu suchen. Der Fang von Seewalzen, kleinen stachligen Wassertierchen, scheint eine Möglichkeit. Die werden nämlich in asiatischen Ländern als Leckerbissen betrachtet. „Wir haben ohne Einmischung vom Ausland Frieden in diesem Land gestiftet. Wir werden unsere Probleme auch ohne internationale Hilfe meistern. Aber wir haben Eile, weil wir Geld für den Wiederaufbau und die Sicherheit brauchen.“

Auf finanzielle Hilfe von der Regierung in Hargeisa braucht er nicht zu rechnen. Der größte Teil des Staatsbudgets geht in die Sicherheit. Milizen der verschiedenen Subklans, die bis vor ein paar Jahren Krieg gegeneinander führten, sind jetzt gemeinsam in der Polizei und der Armee. Nicht nur haben die Milizionäre nun eine Uniform und offizielle Verantwortlichkeit, sie bekommen auch reichlich zu essen und etwas Taschengeld. Das ist mehr als die meisten Somalier haben. Doch um die ehemaligen Milizen weiter zufrieden zu halten, braucht die Regierung Geld. Durch die saudische Handelsblockade geht der Regierung das Geld aus. Der Boden der Staatskasse kommt in Sicht.

Trotz aller finanziellen Schwierigkeiten schwingt die nationale Fahne jedoch weiter fröhlich in der Hauptstadt Hargeisa. Präsident Mohammed Haji Ibrahim Egal hat gerade ein neues Parlamentsgebäude eröffnet. Hargeisa wurde 1988 von den Truppen des damaligen somalischen Militärdiktators Siad Barre im Kampf gegen die nordsomalischen Klans beinahe völlig zerstört.

Der Präsidentenpalast liegt gegenüber dem neuen Parlamentsgebäude. Jetzt wohnt und arbeitet dort Präsident Egal. Während des Bürgerkrieges in den 80er Jahren diente das Gebäude als Residenz von Gouverneur Mohammed Siad Hersi, besser bekannt als General Morgan, Schwiegersohn des mittlerweile gestorbenen Siad Barre. General Morgan leitete damals auf Regierungsseite den blutigen Bürgerkrieg im Norden. Sein unmenschliches Auftreten brachte ihm den Spitznamen „Schlächter von Hargeisa“. Heute ist General Morgan einer der wichtigsten Kriegsherren im Süden Somalias, mit Sitz in der Stadt Kismayo.

Präsident Egal fühlt sich wohl in seinem Palast. Seine Stimme ist rauh vom vielen Rauchen. Er findet die Haltung der internationalen Gemeinschaft zu Somaliland unverständlich. „Das Ausland denkt, es würde einen Präzedenzfall schaffen, wenn es Somaliland anerkennen würde. Aber die internationale Gemeinschaft hatte kein Problem damit, Eritrea anzuerkennen. Warum nicht uns? Die Bevölkerung hat das Land mit harter Arbeit ein wenig hochgezogen aus den Ruinen. Sie wird nun dafür bestraft.“ Der größte Teil der Bevölkerung Somalilands gehört zum Klan der Issaq. Die Issaq sind aber geteilt in unzählige Subklans, die lange gegeneinander Krieg geführt haben. Die neue Stabilität und Sicherheit ist nach Angaben des Präsidenten ein Erfolg der Klanältesten. Bei ihnen liege die eigentliche Macht.

Präsident Egal ist in seiner zweiten Amtszeit. Das Grundgesetz von Somaliland läßt nur zwei Amtszeiten zu. Auf die Frage, ob er am Ende dieser Amtszeit auch wirklich gehen wird, reagiert er äußerst vorsichtig: „Ich kann nicht die Zukunft prophezeien. Ich bin beinahe 70 Jahre alt und müde. Aber wenn die Bevölkerung will, daß ich länger Präsident bleibe, dann muß ich darüber nachdenken. Ich schließe nichts aus.“

Solche Bemerkungen haben schon viele Politiker in Afrika benutzt, die dann als Diktatoren endeten. Blüht Somaliland dieses Schicksal? Mohammed Hashi, ehemaliger Bürgermeister von Hargeisa und einer der wichtigsten Kritiker des Präsidenten, kritisiert das Verfahren, durch das Egal Präsident wurde: „Die Wahl wurde von einer Kommission von Klanältesten gemacht. Ich habe den Eindruck, daß ihre Loyalität gekauft wurde. Persönlich mag ich Egal, aber er ist kein guter Verwalter. Auch ohne Hilfe der internationalen Gemeinschaft sollten wir mittlerweile einen gut funktionierenden Staatsapparaat haben.“ Nach Meinung des kleinen, mageren Mannes mit dem grauen Bart, der gegen Egal unterlag, gehört der Präsident von Somaliland zu Afrikas Dinosauriern. Mohammed Hashi glaubt, es sei höchste Zeit, daß jüngere und modern denkende Menschen Somaliland führen.

Aber den einfachen Somalis geht es vor allem darum, ihre Möglichkeiten in der freien Marktwirtschaft zu nutzen. Internationale Gespräche sind hier zum Beispiel billiger als sonst irgendwo auf der Welt. In Hargeisa existieren vier Telefonbetriebe. Einer der erfolgreichsten Geschäftsleute des Landes, der 60jährige Ingenieur Abdulkader Hashi Elmi, hat ein Hotel gebaut, das „Maan-Soor“ außerhalb des Stadtzentrums, umringt von Reihen junger Bäume. „Nicht nur müssen wir dieses Land aufbauen, wir müssen auch neu anpflanzen“, sagt er. „Die immer mehr um sich herumgreifende Wüste muß mit Bäumen bekämpft werden. Wir können nicht nur von unserem Vieh leben wie die Nomaden.“ Jetzt schon serviert sein Hotel Papajasaft aus dem eigenen Obstbaumgarten; die ersten Oliven sollen bald geerntet werden. „Geschäftsleute und Unternehmer sind erfinderisch. Sie sind die Hoffnung von Somaliland, auch wenn das Ausland uns sitzen läßt.“