Buhlen um die ostdeutschen Wähler

Die unentschlossenen Wähler in Ostdeutschland werden die Wahl entscheiden. Alle Parteien verschenken Zeitungen, schalten Anzeigen und schreiben offene Briefe, damit sie nur ja auch im Osten gewählt werden  ■ Aus Bonn Markus Franz

In den letzten vierzehn Tagen vor der Bundestagswahl werden die Ostdeutschen von den Parteien so richtig verwöhnt. Gerhard Schröder und Lothar Späth schreiben öffentliche Briefe an die „lieben Bürgerinnen und Bürger in Ostdeutschland“, die Grünen werfen für den Osten konzipierte Zeitungen in die Briefkästen, die SPD schmeichelt mit noch mehr Plakaten, und die CDU begeht eine „Woche der Einheit“ und einen „Aktionstag blühende Landschaften“.

Am Tag nach der Bayern-Wahl kündigte SPD-Kanzlerkandidat Schröder an, für „noch mehr Drive“ beim Aufschwung Ost sorgen zu wollen und sich in den nächsten Tagen zu bemühen, das „noch klarer“ zu machen. Ein Zusammenhang besteht angeblich nicht. Vielmehr gehe es um einen schon seit Wochen geplanten „Überraschungseffekt“.

Alle Parteien vermuten, daß die Bundestagswahlen in Ostdeutschland entschieden werden. Die Zahl der Stammwähler liegt dort lediglich bei je 20 Prozent für SPD und CDU und 15 Prozent für die PDS. Nirgendwo sonst sind noch so viele Stimmen zu holen. Die SPD setzt auch deshalb auf die ostdeutschen Wähler, weil sie in besonders hohem Maße die Regierung Kohl satt haben oder, wie es der Vorsitzende der Querschnittsgruppe Ost, Rolf Schwanitz, ausdrückt, „besonders große Frustration und tiefen Ärger in sich tragen“.

Eine noch größere Rolle als das vermutete Wechselwählerpotential könnte die PDS spielen. Bezogen auf eine Emnid-Umfrage (SPD: 41 Prozent; CDU: 38; Grüne: 6; FDP: 5), hätten SPD und Grüne derzeit nur dann eine Mehrheit, wenn die PDS nicht in den Bundestag kommt.

Zwar rechnet kaum jemand damit, daß die PDS die Fünfprozenthürde nimmt, es ist aber wahrscheinlich, daß sie drei Wahlkreise gewinnt, was ihr ebenfalls für den Einzug in den Bundestag reichen würde. Die SPD versucht daher den Wählern einzutrichtern, daß sie auf keinen Fall die PDS wählen dürfen, wenn sie einen Politikwechsel wollen. In den sieben Wahlkreisen, in denen sich die PDS die Chance auf ein Direktmandat erhofft, fährt die SPD eine Erststimmenkampagne. Insbesondere hier werden Plakate mit einer Rückenansicht von Helmut Kohl hängen, auf denen steht: „Damit er wirklich geht“.

Deutlicher will die SPD aus Angst vor Trotzwählern nicht werden. Die Grünen unternehmen ebenfalls besondere Anstrengungen in Ostdeutschland. Ab heute verteilen sie dort drei Millionen Zeitungen, die je nach Bundesland anders gestaltet sind. In extra Anzeigen für den Osten wollen sie, wie ein Sprecher sagt, „an die Intelligenz unserer Wähler appellieren“, damit sie nicht der PDS zum Einzug in den Bundestag verhelfen. Soll heißen: Den Grünen kommt es zwar in der Regel nur auf die Zweitstimmen an, aber wenn schon jemand die Erststimme an eine andere Partei vergeben will, sollte das nicht ausgerechnet die PDS sein und schon gar nicht, wenn sie eine Chance auf ein Direktmandat hat. Am liebsten würden die Grünen gemeinsam mit der SPD an einem Strang ziehen, um PDS-Direktkandidaten zu verhindern. Ähnlich wie es in Lüchow-Dannenberg im Wendland die grüne Europaparlamentarierin Undine von Blottnitz macht. Sie fordert in ihrem Wahlkreis die Wähler auf, SPD zu wählen, um den CDU-Kandidaten Kurt-Dieter Grill zu verhindern.

Die Sozialdemokraten versagen sich allerdings jeglichen Absprachen. „Offiziell können wir nichts machen“, sagt ein Genosse. Das vertrage sich nicht mit dem demokratischen Grundverständnis der Partei. Aber vielleicht geht ja was mit Mundpropaganda...

Wie gut, daß da noch einer ist, der den Wählern überlassen will, was sie wählen sollen: Wie schreibt Lothar Späth doch in seinem Brief an die „lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger“ so schön: „Die Wahlkampfinszenierungen kommen und gehen. Denken Sie in Ruhe darüber nach, was unserem Land hilft; und dann entscheiden Sie.“ Kommentar Seite 12