Das ist Wahlkampf: Nolte verspricht höhere Steuern...

■ ...und nimmt gleich alles wieder zurück: Die Ankündigung der Ministerin, nach den Wahlen die Mehrwertsteuer anzuheben, war ein „Versehen in der Hitze des Gefechts“

Bonn (taz) – Sportliche Familienministerin: gewagter Hechtsprung nach vorne, kühner Salto rückwärts – und punktgenaue Landung im Fettnäpfchen. Diese außergewöhnliche Leistung ist Claudia Nolte (CDU) jetzt beim Thema Mehrwertsteuer gelungen. Überraschend kündigte sie deren Erhöhung im Falle eines Wahlsiegs der Union auf einer Podiumsdiskussion im thüringischen Suhl an. Wenige Stunden später hatte sie es sich anders überlegt. Über ihr Bonner Ministerium ließ sie verbreiten, ihr sei „in der Hitze des Gefechts“ ein „Versehen“ unterlaufen. Auf Dementis anderer Spitzenpolitiker der Unionsparteien warteten die Medien gestern allerdings vergeblich. Bundeskanzler Helmut Kohl erklärte lediglich: „Ich denke nicht daran, mich vor der Bundestagswahl über Steuerfragen zu äußern, und ich rate es auch keinem Kabinettsmitglied.“

Dabei haben Regierungspolitiker bisher im Wahlkampf sehr gerne über Steuerfragen gesprochen – allerdings nur über die im Rahmen der Steuerreform geplante Nettoentlastung von 30 Milliarden Mark bei der Einkommen- und Körperschaftssteuer. In einer Fußnote der vom Bundesrat abgelehnten Reform, die nach dem Willen der Bonner Koalition nach den Wahlen dennoch Gesetz werden soll, findet sich der Satz: „Das Defizit soll durch Umschichtung von direkten zu indirekten Steuern verringert werden.“ Welches die indirekte Steuer ist, die erhöht werden soll, blieb bislang eine offene Frage.

Claudia Nolte behauptete gestern in ihrer Pressemitteilung tapfer: „Es bleibt bei dem, was wir im Deutschen Bundestag zur Steuerreform beschlossen haben: Wir wollen eine breite Steuerentlastung für Bürger und Betriebe, keine Mehrwertsteuererhöhung.“ Diese Aussage hat sie nun allerdings auch im zweiten Anlauf mit dem Versuch scheitern lassen, eine zutreffende Äußerung zur Steuerpolitik ihrer Partei zu machen. Denn bislang hat sich die Union weder eindeutig für noch gegen eine Mehrwertsteuererhöhung ausgesprochen.

Ein Sprecher des Finanzministeriums mochte sich auch gestern nicht festlegen, welche indirekte Steuer zur Gegenfinanzierung der Steuerreform denn nun erhöht werden soll. Regierungssprecher Otto Hauser wollte sich zu der Angelegenheit vorsichtshalber überhaupt nicht äußern. „Er gibt dazu keine Statements“, lautete die offizielle Auskunft des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung.

Die Opposition ist überzeugt, daß Claudia Noltes Fehler vor allem darin besteht, die Katze aus dem Sack gelassen zu haben. „Frau Nolte hat etwas unbedarft nur das ausgeplaudert, was die Union ohnehin plant“, erklärte die Vorstandssprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Gunda Röstel. „Wir lehnen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer als unsozial ab. Sie trifft vor allem untere und mittlere Einkommensbereiche, vor allem Familien mit Kindern. Außerdem ist sie ökonomisch dumm. Sie deckelt die Nachfrage breiter Bevölkerungsschichten, und das gefährdet erneut Arbeitsplätze.“

Der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine sieht das ähnlich. Man dürfe nicht bei Arbeitnehmern, Familien und Rentnern abkassieren, damit Einkommensmillionäre eine Steuersenkung von über 100.000 Mark im Jahr erhielten. Auch die FDP übte Kritik, wie bei den Liberalen im Vorfeld geplanter Steuererhöhungen üblich. FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms erklärte: „Eine Erhöhung der Steuer würde den Aufschwung stoppen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze blockieren.“ Mehrere Teilnehmer und Zuhörer der Podiumsdikussion in Suhl zeigten sich gestern im Gespräch mit der taz überrascht, daß Kabinettsmitglied Claudia Nolte von ihrer urspünglichen Äußerung abgerückt ist. Etwa eine Viertelstunde lang sei das Thema erörtert worden. Die Ministerin habe eine Erhöhung der Mehrwertsteuer als sozial gerecht bezeichnet, da Besserverdienende mehr konsumierten und entsprechend dann auch mehr Steuern zahlen müßten. „Wenn das ein Versehen war, lasse ich mich umtaufen“, kommentierte Iris Gleicke von der SPD spöttisch, die ebenfalls an der Veranstaltung teilgenommen hatte.

Ausgelöst worden war die Diskussion durch den vom bündnisgrünen Teilnehmer Reinhard Hotop geäußerten Verdacht, die Regierung werde wohl im Falle eines Wahlsiegs die Mehrwertsteuer erhöhen. Ob denn von ihr dazu jetzt ein klares Nein zu hören sei, wollte Moderator Gerd Schwinger, Chefredakteur der Tageszeitung Freies Wort, daraufhin von Claudia Nolte wissen. Die Ministerin lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und verkündete: „Da hören Sie von mir ein klares Ja.“ Als Schwinger Überraschung erkennen ließ, wies Claudia Nolte ihn zurecht: Er als Journalist sei doch des Lesens mächtig. Die geplante Steuererhöhung sei Konzept ihrer Partei. Dann fügte sie hinzu: „Wir müssen im Wahlkampf ehrlich sein.“ Bettina Gaus