Businessmänner zu sanften Babies

In einer Autowerkstatt in Vermont ließ der bisher als Akustik-Blueser verkannte Texanische Songwriter Chris Whitley seinen Tenor wieder waidwund fliegen  ■ Von Jörg Feyer

Chris Whitley hat Pech gehabt. Als 1991 sein Debütalbum Living With The Law veröffentlicht wurde, verkaufte die zuständige Plattenfirma den vagabundierenden Ex-Straßenmusiker aus Houston als neuen Akustik-Blues-Messias. Das paßte einfach prima zur Robert-Johnson-Renaissance jener Zeit. Was kümmerte es die Marketing-Strategen, daß sich der Mann mit der National-Gitarre auch im Repertoire von Thelonious Monk, James Brown, Led Zeppelin, Nat King Cole, Joni Mitchell und gar Gary Numan gut auskannte?

Prompt fiel der zeitweilig auch in Belgien residierende Texaner aus der Schublade ins Nirgendwo, als er für die Folge-Alben Din Of Ecstasy und Terra Incognita die großen Verstärker auspackte. All der prächtige Feedback-Zauber konnte aber die künstlerische Konfusion kaum übertünchen. Whitley, der zuvor nur einmal wirklich ins kollektive Bewußtsein gedrungen war (als sein „Kick The Stones“ Brad Pitt und Geena Davies beim Motel-Sex in Thelma & Louise auf die Sprünge half), wußte selbst nicht so genau, wo sein Platz war. Bei Jimi Hendrix? Oder doch bei Howlin' Wolf? Zerrieben zwischen eigenen Zweifeln und anderen Erwartungen, blieb – zumal nach dem kaum überraschenden Rauswurf bei der Sony – nur ein Weg: der zurück.

Also ist die Odyssee des Mannes, der Zeichnungen seiner Tochter Trixie nachempfundene Tattoos spazierenträgt, wieder da angelangt, wo sie einst begann: in Vermont. Dort, in einer Blockhütte, spielte er seine erste Gitarre; dort, in einer Autowerkstatt, mußte Produzent Craig Street (k.d. lang, Cassandra Wilson), nur ein Mikro aufbauen. Für einen Mann, eine Gitarre, ein Banjo, einen Raum. An einem Tag nahmen beide 9 Songs für das neue Album Dirt Road auf.

Damit geht Whitley stilistisch noch hinter Living With The Law zurück. Und macht doch einen gewaltigen Sprung nach vorn. Denn Dirt Road gibt den Blick endlich wieder frei auf einen Songwriter, der formale Präzision und eine lebendige Bildersprache zusammenführt, der sich treiben läßt in Impressionen, um dann wieder herb und direkt auf den Punkt zu kommen. Auf einen Sänger auch, der seinen Tenor grimmig bedeckt hält und sogleich waidwund fliegen läßt.

So sind Chris Whitley einige der schönsten Songs seiner bewegten Karriere gelungen. „Accordingly“ etwa, das vom Zweifel erzählt – aber doch auch eine kleine Hymne ist auf die potentielle Macht einer Liebe, die selbst geschäftige Businessmänner in sanft schlummernde Babies verwandeln kann. Wenn man Glück hat. Do, 17.September, 21 Uhr, Logo