Schwere Jungs als kleine Erpresser?

■ Bremer Amtsgericht beschäftigte sich mit einem alltäglichen Fall aus der JVA Oslebshausen / Knacki zum Staatsanwalt: „An die dicken Sachen kommen Sie doch nicht ran!“ / Verfahren endet mit Einstellung

„Eine Krähe hackt der anderen doch kein Auge aus. Deswegen kommen Sie an die dicken Sachen doch nicht ran“, so klärte gestern vor dem Bremer Amtsgericht der Angeklagte Ka. den Staatsanwalt auf. Da würden Leute „beim Hofgang abgestochen“, so vor sechs Wochen passiert, und Folgen habe das nicht.

Der Erpressungsversuch, weswegen er von einem JVA-Beamten vor Gericht gebracht worden war, nahm sich dagegen fast komisch harmlos aus, und letztlich gab ihm der Richter Recht: Der Häftling Ka. (sitzt wegen Raub etc. bis 2001) und sein Kumpel Kö. (sitzt wegen Totschlags acht Jahre) hatten einen JVA-Vollzugsbeamten in ihre Zelle gebeten und dort ein Tonband in die Hand gedrückt, auf dem ein Gespräch des betreffenden Beamten mit dem Häftling Kö. aufgezeichnet war.

Gegen eine „Spende“ könne er das Tonband haben, hätten die beiden ihm angeboten, so sagte der Beamte vor Gericht aus. Empört hatte er den Vorgang der Hausspitze gemeldet und die beiden angezeigt – „versuchte Erpressung“ für den Staatsanwalt.

Der Inhalt des Tonbands, mit dem erpreßt werden sollte, und der im Gericht verlesen wurde, war allerdings eher gewöhnlich: Der Beamte hatte den Häftling Kö. etwa zwanzig Mal aufgefordert, zum Essen hinunter in den Eßraum zu gehen. Der Häftling sagte ebenso viele Male, er wolle nicht, er habe Angst. Man staunt über die Geduld des Beamten, der dem Häftling seine Angst ausreden wollte und nicht ahnte, daß der Material für eine Erpressung sammelte.

Warum hatte Häftling Kö. Angst? Ihm seien die Füße mit heißem Wasser verbrüht worden, oder er habe sich selbst verbrüht, erklärte der JVA-Beamte. Hintergrund? Offiziell keine Ahnung.

Inoffiziell gehen Mithäftlinge im Knast davon aus, daß Kö. Schulden wegen Drogengeschäften im Knast hat und sich selbst die Füße verbrühte, weil er seinen Gläubigern nicht über den Weg laufen will. Dies würde auch erklären, daß Kö. wochenlang nicht aus der Zelle kam.

Der schmächtige Häftling Kö. redet dagegen auf Nachfrage von allgemeinen Erpressungen, wer ihm die Füße verbrüht hat, will er aus Angst vor Rache nicht sagen. In der JVA sind derartige, schwer entwirrbaren Beschuldigungen so alltäglich, daß man darüber einfach zur Tagesordnung übergeht. Auch die von dem Häftling erwähnte Messerstecherei beim Hofgang hatte Drogengeschäfte und Schulden als Hintergrund.

Das aufgenommene Gespräch über die Frage, ob der Häftling in den Eßraum gehen muß oder nicht, sei juristisch gesprochen ein „untauglicher Versuch“ der Erpressung, fand der Richter.

Da dies auch den Häftlingen klar gewesen sein müsse, wollte er zudem nicht ausschließen, daß die Version der beiden Häftlinge zutreffend sei: Die wollen nämlich nicht eine Spende für sich verlangt haben, sondern eine Spende für „Kinder in der Not“, und ihnen sei es eigentlich um eine Entschuldigung des JVA-Beamten gegangen, versicherten sie vor Gericht.

Beide waren in der Anstalt mit vier Wochen „Einschluß“ bestraft worden, der Häftling Ka. hatte sich bei dem Beamten später sogar entschuldigt. Dies sei für einen Mann von seinem Kaliber eine Menge, fand der Richter anerkennend.

Und da der Staatsanwaltschaft die Verletzung des Rechtes auf „Vertraulichkeit des Wortes“ durch die heimliche Tonbandaufnahme nicht angeklagt hatte, stellte das Gericht das Erpressungs-Verfahren „wegen geringer Schuld“ ein.

K.W.