Eine fast unmenschlich schöne Frau

■ Das Kino 46 zeigt ab heute Stummfilme mit Louise Brooks / Eine vorauseilende Hommage

Ein Blick, und mann ist verloren. Diese Frau mit ihrer ganz eigenen, völlig aus der Zeit und den Moden fallenden Körpersprache, mit ihrer kühlen, unschuldigen, tödlichen Sinnlichkeit öffnet tatsächlich die „Büchse der Pandora“ für alle, die ihr verfallen. Und man spürt dies auch heute noch; auch wenn Louise Brooks stumm bleibt, auch wenn alles um sie herum – die Ausstattung, die Kleider, und vor allen Dingen der Schauspielstil ihrer Filmpartner – im Zeitgeist des Entstehungjahrs 1928 gefangen bleibt.

„Die Büchse der Pandora“ von G.W. Pabst ist einer der ganz wenigen Stummfilme, der keine Patina angesetzt hat. „Kaum kommt sie auf die Leinwand, verschwindet die Fiktion zusammen mit der Kunst, und man hat den Eindruck, einen Dokumentarfilm zu sehen. Sie verkörpert vollkommene Natürlichkeit und vollkommene Einfachheit. Ihre Kunst ist so rein, daß sie unsichtbar wird“, schreibt Henri Langlois von der Cinémathèque Française zu dieser einmaligen Wirkung der Schauspielerin, die letztlich nur durch ihre Rolle in diesem einen Film berühmt wurde, und die „die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens im Bett verbrachte, die Hollywood haßte und ihre Karriere verachtete“ (Jerome Charyn).

Ihr Pagenschnitt, der „schwarze Helm“, wurde und wird überall auf der Welt imitiert (zuletzt von Uma Thurman in „Pulp Fiction“), und ihr Bildnis ist eine Pop-Ikone geworden, aber ansonsten ist sie fast völlig vergessen. Kein Kult wie bei der Dietrich oder der Garbo; aus dem einen Film und ihrer seltsamen Lebensgeschichte läßt sich kein Starmythos zimmern. Louise Brooks ist wohl der einzige Filmstar, der von Hollywood nach Europa ging, um dort den Durchbruch zu schaffen. In ihrem Heimatland hatte Louise Brooks 1926-28 kleine, bescheidene Erfolge in Filmen, die heute längst vergessen sind.

Drei davon zeigt das Kino 46: „Love'em and Leave'em“ ist eine Komödie, die in einem Kaufhaus spielt, in „It's the old Army Game“ sieht man Louise Brooks immerhin neben dem Komiker W. C. Fields. Ihr bekanntestes Frühwerk ist „A Girl in every Port“, einer der ersten Filme von Howard Hawks mit vielen Seeleuten und Faustkämpfen. Von ihrer Leistung als Turmspringerin auf einem Jahrmarkt war G.W. Pabst so begeistert, daß er sie für seine Verfilmung der Theaterstücke „Erdgeist“ und „Büchse der Pandora“ von Frank Wedekind nach Berlin einlud.

Der deutsche Filmregisseur (“Die freudlose Gasse“, „Die Dreigroschenoper“) und das Starlet aus Hollywood, das in Babelsberg sehr unter dem Neid der einheimischen Kolleginnen litt, schufen hier mit einer traumhaften Sicherheit zusammen den größten Triumph ihrer jeweiligen Karriere. Durch den orignellen Schnitt scheint die sexuelle Energie von Brooks Lulu in Sturzbächen zu strömen. So gut war Pabst nie wieder.

Als der Tonfilm kam, war Louise Brooks Karriere als Schauspielerin praktisch vorüber. Sie dreht 1930 noch einen Stummfilm in Frankreich. „Prix de beauté – Miss Europe“ ist auch in dieser Filmreihe zu sehen und zeigt Louise Brooks als „Miss France“ in einer Komödie über den Schönheitskult. Danach wurde Brooks Verkäuferin, hatte Affairen mit drei Millionären, wurde depressiv und schrieb viel später mit „Lulu in Hollywood“ ein scharfsinniges Buch über die Traumfabirk. Wiederentdeckt wurden sie und ihre Filme von den Franzosen. Lotte Eisner und Henri Langlois verfaßten vielgelesene Lobeshymnen, Godard und Anna Karina machten den Film „Vivre Sa Vie“ als eine Hommage an sie.

Die heute, 17. September, um 20.30 Uhr mit „Das Tagebuch der Verlorenen“ beginnende Reihe mit sechs Stummfilmen von Louise Brooks, die live auf dem Klavier begleitet werden, ist eines der aufregendsten Projekte des Kino 46 der letzten Jahre. Außer den Pabst-Filmen werden sie äußerst selten gezeigt, drei sind 70 Jahre nach ihrem Entstehen Bremer Erstaufführungen. Wilfried Hippen

Louise-Brooks-Filme vom 19. bis 25. September im Kino 46