Die Welt ist schlecht, das Leben ist schön

Der Spielfilm zur Single, die Erfindung des Kuhfladenroulettes und die Nutzbarmachung von „Dalli-Dalli“ und „EWG“ für die Neunziger: Der einstige NDW-Held Andreas Dorau hat mit „Die Menschen sind kalt“ seinen ersten abendfüllenden Spielfilm gedreht  ■ Von Gerrit Bartels

Das können sie ja wirklich gut, die aufgeweckten Schreiber der Plattenfirmeninfos: Spannung aufbauen, Interesse wecken, Künstler verkaufen. So unterstellen sie bei der Firma Motor Music einfach mal, daß wir uns unter einem Andreas-Dorau-Film zuerst eine „verrückte junge Discogeschichte“ vorstellen, in der „lauter junge, lustige Menschen die verrücktesten Dinge sagen und machen“. Ob dem wirklich so ist? Passen zu dem weniger als Filmemacher denn als Musiker bekannten Andreas Dorau eigentlich Attribute wie jung, verrückt und lustig? Sieht der nicht schon älter aus, als er wirklich ist, entzieht der sich nicht schon seit zwei Jahrzehnten jedweden Humorfraktionen, ist dessen Witz überhaupt einer? Sind die Menschen wirklich so kalt? Wichtige Fragen, die sich da auftürmen und die Andreas Dorau nie im Leben wirklich beantworten könnte und wollte.

Eines aber wußte er ganz genau: Die 35.000 Mark, die er von seiner Plattenfirma für ein Video bekam, die wollte er nicht einfach verpulvern für die drei, vier Minuten, die sein neuester Song „Die Menschen sind kalt“ dauert. Für das Geld könne man doch einen ganzen Film drehen, dachte sich Dorau, informierte seine Plattenfirma und bekam grünes Licht, seinen ersten abendfüllenden Spielfilm zu drehen. Schließlich macht ein Spielfilm zur Single ja auch was her, wechselseitige Werbeeffekte inklusive.

Außerdem ist Dorau ja wirklich vom Fach. Er war nicht nur der NDW-„Fred vom Jupiter“, er ist nicht nur der Mann, der in den Neunzigern mit Weisheiten und Disco-House-Hits wie „So ist das nun mal“ und „Das Telefon sagt Du“ entzückt hat. Sondern er ist auch ein richtiger Filmemacher mit Hochschulabschluß. Was man aber seinem Film „Die Menschen sind kalt“ nicht gerade ansieht, auch nicht ansehen soll. Das Leben ist hier gar nicht mal so schön, und wenn, ist die Schönheit enorm entwicklungsbedürftig. Dorau läßt seinen Helden, den Heiner, gespielt von Heiner Ebbinghaus, im sonstigen Künstlerleben Schlagzeuger der Hamburger Punkrock- Band Dackelblut, recht unbedarft und depp durch die Welt laufen. Eben so, als hätte Heiner sich seinen Kopf schon mehrmals an ein paar Wänden wund geschlagen.

Heiner beim Aufwachen in seiner 10-Quadratmeter-Kemenate, Heiner am Totenbett seiner Mutter (Ingeburg Kannstein), Heiner bei seiner Arbeit als Museumswärter, Heiner, der die Nichte (Dolly Dollar) seines Chefs (Horst Frank) übers flache Land auf eine Grillparty fährt. Nicht viel los mit Heiner, nicht viel los in diesem Film. Doch wie in Doraus Songtexten haben auch hier die Szenen und Dialoge den schlau eingebauten Verzögerungseffekt. Dorau ist ein Meister im Andeuten von Doppelbödigkeiten, die dann doch keine sind. Seine Pässe in die Tiefe verschwinden im Nirgendwo. Trotz allem Pop und Hedonismus müssen bei ihm aber die Oberflächen nicht immer strahlen, die dürfen auch mal ein wenig rauh und krumpelig sein.

Wenn der Korn nach vorn bringt, dann tut er das auch. So ist das nun mal. Und wenn eine Kuh scheißt, dann tut sie das, und Dorau filmt das genüßlich. Heiner landet mit Dolly nämlich bald beim Kuhfladenroulette, einem nicht einfachen Spiel, das ihn – nicht zuletzt durch den Korn – nicht nur um sein Geld bringt, sondern auch in einen langen traumreichen Komaschlaf versetzt. Was den Betrachter zuerst traurig stimmt, eigentlich würde man gern noch länger mit Heiner durch die Gegend schnurren. Doch entweder reichte das Geld nicht mehr, oder Dorau war mit seinem Flachfilmlatein am Ende, oder er befand seinen Abschlußfilm der Filmhochschule einfach für so sehenswert, daß er ihn auch mal einem größeren Publikum präsentieren wollte: „Schlag Dein Tier“ heißt der und ist in den Film als halbstündige Traumsequenz eingebaut.

Eine Gameshow, in der Tiere gegen Menschen antreten, eine Mischung aus „EWG“, „Dalli- Dalli“ (mit dessen Faktotum Kurt Schmidtchen, der sich hier mit einem Wildschwein mißt!) und „Wetten, daß...?“. Ein lustiges Hier-und-doch-nicht-da-da-Spiel, in dem flache Ostfriesenwitze und auch sehr gemeine und böse Witze erzählt werden (da muß Dorau ein Pferd getreten haben). Und pro gewonnenem Punkt können sich die Kandidaten einen Dorau-Song wünschen, in welchem dann Zeilen wie „Die Welt ist schlecht, das Leben schön, was gibt's da zu verstehen?“ gesungen werden. Gar nichts, wie man weiß, höchstens daß der Film doof, aber gut ist. Und die Welt von Dorau planmäßig auch seltsam und fremd ist und keiner Erklärungen bedarf.

„Die Menschen sind kalt“. Regie: Andreas Dorau. Mit Heiner Ebber, Dolly Dollar, Horst Frank u.a.