Leidenschaft allein reicht nicht

Der VfB Stuttgart bekommt beim 1:3 im Uefa-Cup von Feyenoord Rotterdam vorgeführt, daß moderner Fußball komplex wie ein Verschiebebahnhof sein kann  ■ Aus Stuttgart Thilo Knott

Leo Beenhakker (56) ist, was man als Weltenbummler bezeichnet. Zweiundzwanzig Trainerstationen kann er aufzählen, darunter die Nationalteams der Niederlande und Saudi-Arabiens, aber auch Spitzenclubs wie Ajax Amsterdam oder Real Madrid. Jetzt, bei Feyenoord Rotterdam, will der Trainer sein „letztes Kunststück“ vollbringen, wie er sagt. Mit Erfolg: in der holländischen Ehrendivision hat er Feyenoord auf Platz eins manövriert und im Daimlerstadion gegen den VfB Stuttgart de facto schon im Hinspiel die zweite Uefa- Cup-Runde erreicht.

Winfried Schäfer hielt's bis dato mit der Bodenständigkeit. Lediglich zwei Trainerstationen hat er auf dem Buckel und ist gerade mal 70 Kilometer von Karlsruhe (Sportclub) nach Stuttgart (Verein für Bewegungsspiele) „gereist“. Schäfer spricht nicht von „Kunststücken“, die sein Team auf dem Rasen vollführen soll. Behüte! Schäfer redet von „Leidenschaft“ und von „den Gegner bekämpfen“. Ohne Erfolg: Beim 1:3 gegen Feyenoord wurde dem VfB eine wahre Lehrstunde erteilt.

Polyglott hier, hemdsärmelig da: die Gegensätze in der Spielauffassung hätten die beiden Trainer nicht eindrucksvoller symbolisieren können. In staatsmännischer Manier verteilte Beenhakker noch Komplimente an den überforderten Gegner. „Stuttgart hat zu reagieren versucht, das haben sie gut gemacht“, sagte er beispielsweise in einem Anflug äußerster Höflichkeit, weshalb sein Team in der zweiten Hälfte „einige schwierige Momente“ erlebt habe. Schäfer dagegen mußte sich wenig respektvolle Fragen zur Spielvorbereitung gefallen lassen. „Glauben Sie mir“, rechtfertigte Schäfer, „wir haben Video geschaut: Jeder hat die Rotterdamer Mannschaft gekannt, jeder hat gewußt, wo die Stärken Feyenoords liegen.“

Um so schlimmer, daß die Spieler des VfB trotz fundierten Wissens den Rotterdamer Stärken nichts entgegenzusetzen hatten. Bei der Erklärung Schäfers für das „katastrophale Ergebnis“ wurde deutlich, daß ein wirkliches Konzept gefehlt hat, um Paroli zu bieten. Für Schäfer ist Fußball offensichtlich ein einfach Ding: „erst mußt du kämpfen“, bemängelte Schäfer, dann stellt sich der Erfolg auch ein. Schäfers Adlatus Wolfgang Rolff formulierte den Umkehrschluß, der im Falle der Partie gegen Rotterdam scheinbar zutraf: „Wenn du keine Leidenschaft zeigst, bist du eben zweiter Sieger.“ So einfach ist das.

Aber offensichtlich verstellt eine solch undifferenzierte Sichtweise den Blick für die Realitäten dieser 90 Minuten: Feyenoord hat schlicht die begrenzten Möglichkeiten des VfB aufgezeigt – auf internationalem Parkett zumindest. „Das war moderner Fußball“, beschied Fredi Bobic, „die haben uns vorgeführt.“ Und erwischte sich glatt bei neidlosen Schwärmereien: „Das waren wunderbare Konter, das hat super ausgesehen – war aber schlecht für uns.“

Tatsächlich trafen zwei unterschiedliche Spielsysteme aufeinander: Während Winfried Schäfer auf das klassische Bundesligasystem (3-5-2) setzt, vertritt Leo Beenhakker die moderne niederländische Schule mit Viererkette und drei Stürmern (4-3-3). Es war schon beeindruckend, wie die elf Rotterdamer zu einem einzigen „Verschiebebahnhof“ zusammenwuchsen. „Die haben die Räume ganz eng gemacht“, stellte Libero Frank Verlaat fest. Und lieferte gleich das Gegenmittel mit: „Wenn du schneller von Defensive auf Offensive umschalten würdest, wären auch gegen ein solches Spielsystem Räume vorhanden.“

Das ist Fußballtheorie, die im Konjunktiv verharrt. Die Stuttgarter Praxis sah gegen den Abwehrblock in der Hauptsache ein Stilmittel vor, das VfB-Trainer Schäfer despektierlich als „lockeren Lupfball“ bezeichnete. Der unmotivierte lange Ball nach vorn dokumentierte aber einzig die Leblosigkeit und den Mangel an Flexibilität des Stuttgarter Offensivspiels. „Wir haben es nicht geschafft, in die Räume zwischen Innen- und Außenverteidiger zu kommen“, mußte Fredi Bobic erkennen. Frank Verlaat jedenfalls ist jetzt erst einmal froh, daß am Samstag wieder der nationale Alltag gegen 1860 München vor der Türe steht. „In der Bundesliga wird ein ganz anderes System gespielt, entsprechend anders wird das ganze Spiel.“ Nur gut also, daß sich der VfB Stuttgart nach dem Rückspiel in Rotterdam ganz auf diese Spielweise konzentrieren kann.

Feyenoord Rotterdam: Dudek – van Gobbel, van Wonderen, Konterman, Tininho – Bosvelt, van Gastel, Paauwe – Tomasson (82. Gyan), van Vossen – Cruz (63. Kalou)

Zuschauer: 25.000

Tore: 0:1 van Gastel (19.), 0:2 Tomasson (19.), 1:2 Bobic (31.), 1:3 Tomasson (34.)

VfB Stuttgart: Wohlfahrt – Verlaat – Thiam, Berthold – Djordjevic, Soldo (46. Spanring), Keller, Stojkovski (25. Zeyer) – Balakow – Bobic (46. Akpoborie), Ristic