Elchmodell mit Leopard-Technik

■ Die Neitech-Züge von Adtranz wurden in kürzester Zeit zusammenkonstruiert

Berlin (taz) – Statt schicker Neitech-Züge sind jetzt also wieder die alten Silberlinge unterwegs. „Die Bahn hat alles zusammengekratzt, was sie noch irgendwo rumstehen hatte, um die 20 Neitech-Züge der Marke VT610 in Baden-Württemberg zu ersetzen“, berichtet Hans Klöppner, Sprecher des Umwelt- und Verkehrsministeriums in Stuttgart.

Der Vorteil der Neigetechnikzüge besteht dabei nicht in ihrem Aussehen, sondern darin, daß sie schneller durch die Kurven fahren können, weil die Fahrgäste die Fliehkräfte nicht so stark merken. Der ganze Wagenaufbau wird dabei stärker gekippt als bei starren Waggons. Zum einen verkürzen sich dadurch die Reisezeiten. Zum anderen kann – zumindest theoretisch – die Streckenführung mit geringeren Kurvenradien gebaut werden. Auch die kommende ICE-Generation soll mit der neuen Technik ausgestattet werden. Seit Jahren sind in Bayern und Italien Neigetechnikzüge unterwegs, die ohne größere Probleme funktionieren. Diese Pendolinos fahren mit hydraulischer Technik, die Fiat entwickelt hat.

Doch trotz guter Erfahrung mit den Waggons made in Italy hat die Deutsche Bahn AG bei der deutschen Adtranz eine Serie bestellt, die hastig innerhalb von zwei Jahren konstruiert wurde. Ihre Technik ist abgeleitet vom Schwenkrohr des Leopard-Panzers. „Der VT611 ist eine Fortentwicklung des Pendolinos. Er braucht weniger Energie und hat mehr Sitzplätze“, begründet Bahn-Sprecher Hartmut Sommer den Lieferantenwechsel. Doch schon länger spotten Eisenbahnkenner, das Zugmodell müsse eigentlich „VT 600 Elch“ heißen.

Bereits im Frühjahr hat das Eisenbahnbundesamt angeordnet, daß die 50 Züge, die die DBAG für rund 250 Millionen Mark von Adtranz gekauft hat, statt mit 160 Stundenkilometern nur noch mit 120 Stundenkilometern dürfen. Die Landesregierungen in Stuttgart und Mainz haben inzwischen angekündigt, daß sie die Bahn regreßpflichtig machen wollen. Zwar falle kein Zug aus, die Fahrleistung werde also erbracht, so Klöppner. Aber in den vergangenen Monaten sahen Fahrgäste aus Tübingen häufiger nur noch die Schlußlichter von ihrem ICE-Anschluß in Stuttgart.

Die DB AG hatte angeordnet, daß der ICE in der baden-württembergischen Landeshauptstadt fünf Minuten später als auf dem Fahrplan ausgedruckt abfährt, damit die Kunden aus den abgebremsten Neitech-Zügen noch zusteigen konnten. „Aber wenn in Reutlingen auch nur drei Schulklassen mitwollten und der Zug deshalb eben eine Minute langsamer war, war der Anschluß weg“, so Klöppner.

Seit die Neitech-Züge Ende vergangener Woche ganz aus dem Verkehr gezogen wurden, hat sich das Problem nun offenbar weiter verschärft. Baden-Württemberg hat 34 Millionen Mark eingefroren, mit denen sich das Land am Kauf der Neitech-Züge beteiligen will. Rheinland-Pfalz, das 55 Millionen Mark für das Zugmaterial gezahlt hat, hat gegenüber der DBAG 1,8 Millionen Mark Schadensersatz für nicht erbrachte Verkehrsleistung eingefordert. Eine Million Mark hat die Deutsche Bahn AG bereits bewilligt. Sie selbst will versuchen, sich bei Adtranz schadlos zu halten. Annette Jensen