Samba mit der Stadtkasse

Deutsche Kommunen eifern dem brasilianischen Porto Alegre nach: Jeder soll über die städtischen Finanzen mitbestimmen. Die als neoliberal angefeindete Bertelsmann-Stiftung will die Verwaltung preußischen Stils verabschieden  ■ Von Christian Füller

Berlin (taz) – In Porto Alegre klappt das schon seit fast zehn Jahren. Alle BürgerInnen können in der brasilianischen 1,3-Millionen- Einwohner-Stadt ganz direkt Einfluß nehmen. Im Armenviertel Vila Cristal haben die AnwohnerInnen erzwungen, daß die Stadt parallel zu einem großen Einkaufszentrum 400 neue Häuser baut – gewissermaßen als Ausgleich für die Armen, denen das Konsumparadies verschlossen bleibt. Die Porto Alegrer aus Cristal brauchen dazu nicht randalieren oder auf den Straßen demonstrieren. Sie können ganz legal über die Verteilung öffentlicher Gelder mitbestimmen. Der „partizipative Haushalt“ macht sie zu Entscheidungsträgern.

Auch in Deutschland soll nun erstmals die Samba mit der Stadtkasse geprobt werden. Zwölf Mini- Gemeinden beteiligen sich an einem Modellversuch, bei dem künftig jeder Bürger auf den Bereich Einfluß nehmen darf, der bisher als Allerheiligstes von Bürgermeistern, Stadtverordneten und der Kommunalaufsicht galt: das Budget, der öffentliche Haushalt der Kommunen. Initiiert wurde der Versuch in finanzpolitischer Basisdemokratie ausgerechnet von der als radikal marktgläubig verschrieenen Bertelsmann-Stiftung. Zusammen mit der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung fördert die Stiftung des Milliarden Mark schweren Weltkonzerns den Modellversuch.

In dem badischen Örtchen Mönchweiler, im hessischen Groß- Umstadt oder in Warstein sind dann brasilianische Verhältnisse denkbar. „Wir wollen ernsthaft alle Menschen im Dorf über den Haushaltsplan konsultieren – bevor der Gemeinderat den Etat beschließt“, beschreibt Bürgermeister Gerhard Dietz die Zukunft Mönchweilers. Dabei wird die Kommune neue Wege in der Öffentlichkeitsarbeit gehen: Nicht mehr nur per „amtliche Bekanntmachung“ lädt Dietz die 3.200 Einwohner ein. Es wird Bürgerversammlungen geben, am Sonntag wird zum Kaffeekränzchen über Kommmunalfinanzen eingeladen, und im Ort werden Info-Säulen aufgestellt. Warum der Aufwand? „Weil die Politik die Menschen wieder ernst nehmen muß“, antwortet Sozialdemokrat Dietz.

Bisher war es den Bürgern hierzulande unmöglich, über den Kommunaletat mitzubestimmen, das Privileg war Gewählten und Kämmerern vorbehalten. Die Gemeindeordnungen in Deutschland verbieten sogar ausdrücklich, daß Normalbürger etwa per Volksbegehren Einfluß auf die Verteilung der Steuermittel nehmen können. Der deutsche Verwaltungsstaat habe eben „bürgerschaftliches Engagement immer als Bedrohung empfunden“. Der das sagt, ist nicht etwa Sprecher einer Bürgerinitiative, sondern Levin von Trott zu Solz, der sich im Bertelsmann-Projekt „Bürgerorientierte Kommune“ um kommunale Demokratie kümmert.

Bislang waren die Bertelsmänner nicht eben bekannt für ihre Sorge um Mitbestimmungsrechte. Mark Wössner, der Vorstandssprecher des Mutterkonzerns Bertelsmann, sitzt in einer geheim tagenden Männerrunde um Bundespräsident Roman Herzog, die gebetsmühlenhaft die Einführung von Studiengebühren fordert. Studenten und mancher linke Gewerkschafter warnen davor, ihr Einfluß sei kaum zu kontrollieren – und neoliberal: Die Bertelsmänner interessierten sich nur für Gemeinden, um sie in Privatunternehmen zu verwandeln.

Und nun das: Der Bertelsmann Levin von Trott unterzieht den Hauptdenker des Verwaltungsrechts, Ernst Forsthoff, einer so fundamentalen Kritik, daß jedem demokratisch gesinnten Linken das Herz aufgehen muß. Forsthoff schrieb 1933 über den „totalen Staat“ und in der jungen Bundesrepublik das Lehrbuch des Verwaltungsrechts. Forsthoff habe darin mit der Rechtsfigur der Daseinsvorsorge durch den Staat „das verantwortungsvolle Denken der Menschen in den Kommunen erlahmen lassen“. Die Daseinsvorsorge gilt als juristische Rechtfertigung dafür, daß der Staat und seine Beamten vieles an sich reißen konnten: die Müllabfuhr, die Versorgung mit Gas, Strom und Wasser, örtliche Kultur und Bildung. Sie entzogen damit die kommunalen Angelegenheiten praktisch dem Einfluß seiner Bürger.

Im Grundgesetz findet die in Sonntagsreden so viel beschworene Gemeinde als demokratische Schule der Nation gar nicht statt. Dort ist nur vom „Recht auf Selbstverwaltung“ die Rede, nicht aber von Demokratie. Die deutsche Staatsrechtslehre macht da feine Unterschiede – und ist keineswegs gewillt, von diesem Dogma abzugehen. Rupert Scholz etwa, Grundgesetzkommentator und einflußreicher CDU-Jurist, lehnt den Versuch vehement ab, die Kommunen Berlins, die Bezirke, mit autonomen demokratischen Organen auszustatten.

„Die Gruppen der Bürgerschaft sollten viel stärker miteinbezogen werden“, fordert dagegen Levin von Trott, „weil die Bürger vor Ort viel mehr über ihre Bedürfnisse wissen als die Bürokratien.“ Der junge Referent von Trott ist dabei kein Einzelkämpfer in einem randständigen Projekt. Der Politologe Martin Greiffenhagen hat für die Bertelsmann-Stiftung die Abkehr vom starken Staat preußischer Prägung mit seiner beamteten Dienerschaft gefordert und ein Plädoyer für Bürgervereine vorgelegt. Und selbst Reinhard Mohn, der Chef der Stiftung und Ex-Bertelsmann-Konzernchef, konzentriert sich heute auf Fragen, die er früher eher locker mit dem Satz ansprach: „Wir müssen mal was zum Thema Demokratie machen.“

Mohns Stiftung steht nicht alleine mit ihrem Engagement für eine Bürgergesellschaft. Die Stadt Heidelberg etwa erstellte Mitte der Neunziger einen kommunalen Verkehrsplan mit Hilfe von Bürgern, Initiativen und städtischen Unternehmern. Eine Kommune wie Berlins Bezirk Wedding öffnet sich Schritt für Schritt der Arbeitsloseninitiative „Kommunales Forum“. Die hat aus England die Beteiligungsmethode „planning for real“ übernommen, bei der jeder im Kiez, vom Kind bis zur Omi von nebenan, seine Bedürfnisse artikulieren kann.

Doch die Basisdemokratie findet nicht nur Zustimmung. Bei der Bertelsmann-Stiftung richtet man sich auf neue Gegner ein: Die Freunde eines starken Staates sitzen bei etatistischen Sozialdemokraten ebenso wie bei autoritätsgläubigen Konservativen. Einig sind sich beide Gruppen mit Forsthoffs Diktum, daß „Bürgervereine die großen Fragen der Wirtschaftspolitik nur dilettantisch“ behandeln.