Danke (13)
: Er ist wie wir

■ Schlingensief bietet postakademischen Thirtysomethings eine echte Chance 2000

Es wird Zeit, die Rede wieder auf Christoph Schlingensief zu bringen. Nicht auf den wirklichen, der abends ein Bier trinkt und sich morgens (hoffentlich) die Zähne putzt. Sondern auf die Figur Christoph Schlingensief, die sich für die Unsichtbaren dieser Gesellschaft zu engagieren versucht, dabei aber für diejenigen eine Bedeutung bekommen hat, die bisher freiwillig in der Deckung geblieben sind. Den Bedürfnissen echter Arbeitsloser haben Schlingensiefs doppelte Botschaften letztlich nicht viel zu bieten. Den diffusen Befindlichkeiten vieler postakademischer Thirtysomethings aber schon.

Deren Vorstellung, am sogenannten System teilhaben zu können, ohne mitmachen zu müssen, findet in Schlingensiefs Wahlkampfmotto „Scheitern als Chance“ Ausdruck und Antrieb. Mit der Parole „Wähle dich selbst“ will er Direktkandidat in Berlin Prenzlauer Berg werden. Von mir habt ihr nichts zu befürchten, heißt das. Wer mich wählt, bleibt sich selbst überlassen, ich bin wie ihr, in mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.

Natürlich will Christoph Schlingensief nicht wirklich gewählt werden. Er will nach dem 27. September nicht nach Bonn ziehen, sondern sich lieber wieder in der Berliner Volksbühne zurechtschnuckeln. Trotzdem rast er jetzt in dieser Sache durchs Land, und auch wenn es sich um die „unorganisierteste und verschludertste Wahlkampftour der Welt“ (C.S.) handelt, so ist es doch Wahlkampf. Und Wahlkampf war für unsereinen bisher nicht okay.

Die Unangreifbarkeit der Kunstpartei Chance 2000 durch den feuilletonistisch geprägten Menschen beruht darauf, daß deren Eigenleistung an Ironie nicht zu toppen ist. Und daß daraus beunruhigenderweise eine echte Teilhabe erwächst. Denn auch wenn die Chance- 2000-Macher damit kokettieren, Wirklichkeit nur zu simulieren, um zu zeigen, wie Wirklichkeit funktioniert, sind sie dabei den gleichen Zwängen unterworfen wie jeder Politiker, der ohne doppelten Boden das gleiche tut. Sie kämpfen Wahl, und wenn sie dafür nicht bis zur Rente verschuldet sein wollen, dann brauchen sie auch Stimmen.

Ein deutlicheres Klopfen auf die tönernen Füße eines sogenannten intellektuellen Außenseitertums gesellschaftlich gleichwohl Mitmischender läßt sich derzeit nicht vernehmen. Tatsächlich ist er, der Christoph, wie wir. Auch wir würden schließlich in die Kamera lächeln, wenn wir neben Alfred Biolek stehen. Nur stehen wir nicht da. Chance 2000 zu wählen wäre so gesehen durchaus die Entscheidung für einen Wechsel. Nicht für den einfachen der Kanzlernase. Sondern für den schwierigen – den Wechsel der eigenen Position hin in die maximale Ironisierung. Ist doch egal, aus welchen Gründen man mitmacht. Petra Kohse

Die Autorin ist Kulturredakteurin der taz