Nichts für Warmduscher

Ein neues Spiel breitet sich aus auf den Grünanlagen der Hauptstadt: „Juggern“. Selbstgebastelte Kostüme und Schaumstoffwaffen sorgen für echte Endzeitatmosphäre  ■ Von Corinna Budras

Sonntag nachmittag im Mauerpark. Es regnet in Strömen, und finstere Gestalten treiben sich auf der Wiese herum. Gestalten am Rande des guten Geschmacks: langhaarige Typen mit merkwürdigen Zopffrisuren und in selbstgebastelter Kämpfermontur. Mal mit, mal ohne Kopftuch und ausgestattet mit Brustpanzern, Knieschonern, Armeehosen und Schaumstoffwaffen gehen die zehn Kämpfertypen beim Kommando „Drei-Zwei-Eins-Jugger“ mit Gebrüll aufeinander los.

Zack, haut ein Obelix-Verschnitt mit Hanni-und-Nanni-Zöpfen, blauem Kittel und Leopardensocken mit einem Schaumstoff- Kurzschwert seinem Gegenüber auf die Schulter. Der geht getroffen zu Boden. Zack, wird auch der wilde Typ ganz in Schwarz mit einem Schaumstoff-Morgenstern an einer Plastikkette in den Matsch gestreckt.

Pure Wackelpuddinggewalt auf Berliner Grünanlagen. Die Tatbeteiligten: Endzeitjünger vom Juggerverein „c-vilisiertes Volk von Poll“. Ein neues Spiel breitet sich aus: „Juggern“ (sprich: Tschaggern) ist voll in, besonders nach der ersten deutschen Juggermeisterschaft, die im August im Mauerpark in Prenzlauer Berg stattfand.

Eine finstere Gestalt mit kahlgeschorenem Kopf und verwegenem Blick schmeißt sich unterdessen auf etwas, das – traditionell gesehen – eigentlich einen Hundeschädel darstellen soll, genau betrachtet aber ein Gummiball ist. Der „Jugg“. Dabei kollidiert er mit einem, der ähnliches vorhat. Lange Haare, Armeehose und Ellenbogenschoner will auch diese Endzeiterscheinung den Gummiball- Hundeschädel ins heimische Tor befördern, das eigentlich gar kein Tor ist. Irgendwas anderes eben, nur kein Tor. Das Gerangel ist groß, die Konfusion auch – zumindest beim unbescholtenem Zuschauer. Irgendwann schreit dann einer „Punkt“, und es wird pausiert. Zeit, um Fragen zu stellen.

Einmal im Monat ist Juggertag, an jedem ersten Sonntag. Dann treffen zweimal fünf Endzeit-Freaks aufeinander, um aus einem Spiel eine Glaubensfrage zu machen. Je nach Laune stoßen Gesinnungsgenossen von den anderen beiden Berliner Juggervereinen dazu.

Mit Schaustoffwaffen gehen acht der Gestalten aufeinander los, während zwei unbewaffnete Läufer versuchen, dem Spiel etwas Sinn einzuhauchen. Ihre Aufgabe ist es, nach dem Gummiball-Hundeschädel zu grabschen und ihn auf ein Plazierfeld in ihrer Spielfeldhälfte zu befördern.

Nichts einfacher als das, denkt der unbescholtene Zuschauer. Allerdings: Es darf gerangelt werden. Die beiden unbewaffneten Läufer mit all ihrer Körperkraft, die „Pompfer“ mit den vorhandenen Waffen. Wer getroffen ist, muß zu Boden gehen – fünf Steine lang.

Moment mal: Steine, welche Steine? Steine geben beim „Juggern“ den Takt an und sagen, wann Schluß ist. Dafür schmeißt ein unparteiischer Weiser im gleichmäßigen Takt einen Stein nach dem andern geduldig auf ein Blech – traditionell gesehen jedenfalls. Heute hat die Rolle Lothar übernommen, der in seinen Jeans erstaunlich unweise aussieht. Er schmeißt ja auch keine Steine, sondern haut mit einem Stock gegen ein Mülltonne. Improvisation eben. Nach 100 Steinen/Stöcken ist das erste Drittel beendet, nach dreimal hundert Steinen: Finito. Dann entscheidet die erreichte Punktzahl der Juggerparteien.

Provokation ist alles beim „Juggern“, schließlich ist für dieses Spiel ein gewisser Adrenalinspiegel unverzichtbar. „Warmduscher“, brüllt die finstere Gestalt mit Glatze seiner gegnerischen Mannschaft zu. Der Obelix-Verschnitt will sich das nicht gefallen lassen. „CDU-Wähler“, schreit er zurück und will wissen: „Sind wir Jugger oder Bausparer?“

Traditionell gesehen ist dieses Spiel eine blutige Angelegenheit, denn es basiert auf einen zweitklassigen Endzeitfilm, der nach dem dritten Weltkrieg spielt. In dem Film „Die Jugger“ von 1986 spielen finstere Gestalten das Spiel mit richtigen Waffen und prügeln sich damit mitunter auch zu Tode. „Eigentlich ist der Film ziemlich bescheuert“, erkennt Jo vom Juggerverein „c-vilisiertes Volk vom Poll“ ganz richtig. Was ihn aber nicht davon abhielt, vor rund fünf Jahren mit Freunden das Spiel – in modifizierter Form und mit mehr Schaumstoff – spielfähig zu machen. In Hamburg und anderswo passierte überigens parallel genau das gleiche – ohne daß die „Jugger“ anfanges voneinander wußten. Die Regeln wurden angeglichen, und die erste deutsche Juggermeisterschaft war geboren.

Gegen Ende des Endzeit- Events kommt zur allgemeinen Erschöpfung auch noch Konfusion über den aktuellen Spielstand auf. Bei so einem turbulenten Verlauf bringt Lothar auch schon mal die Punkte durcheinander. „Sechs zu sieben steht es“, behauptet er mutwillig auf Anfrage. „Kann ja gar nicht sein“, muß er sich belehren lassen. „Na, dann eben sechs zu acht“, mutmaßt er. Scheißegal. Am Ende gewinnt sowieso der, der die größte Klappe hat.

Die Jugger treffen sich jeden Samstag um 14.00 und jeden Dienstag um 18.00 Uhr zum Training im Monbijou-Park.