Stadt, Land, Kultur

■ Der Blick von außen: Eine Diskussion zum Thema Berlin-Kultur im Abgeordnetenhaus

Um Kulturpolitik sollte es gehen, als die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Podiumsgespräch ins Berliner Abgeordnetenhaus bat. Brauchen wir einen Bundesbeauftragten für Kultur? Gar eine Bundeskulturministerin? Wie wird sich dann in Zukunft das Verhältnis zwischen Bund und Ländern gestalten? Gibt es so etwas wie eine Hauptstadtkultur? Wenn ja, wie sieht die aus, und wer finanziert das Ganze? Das waren einige der Themen, die verhandelt werden sollten, woraus sich gleich noch eine weitere Frage ergab: Ist das alles an einem Abend zu schaffen?

Doch nach zweieinhalb Stunden Redezeit war man tatsächlich durch, und nicht nur das, die Diskussion verlief – was nicht selbstverständlich ist – ausgesprochen kontrovers und damit entsprechend ergiebig.

Das lag nicht zuletzt daran, daß die Organisatoren der Veranstaltung mit Andreas Wiesand vom Bonner Zentrum für Kulturforschung und Siegfried Hummel, bis vor kurzem Kulturdezernent in München, zwei nichtberliner Fachleute eingeladen hatten. Die Distanz, aus der die beiden die hauptstädtische Szene beurteilten, tat gut und half die Verhältnisse ein wenig zurechtzurücken. So warnte Hummel eindringlich davor, bei der Debatte um die Hauptstadtkultur das Nationale zu sehr in den Vordergrund zu stellen. Den Menschen in Freiburg, Saarbrücken oder Köln etwa, die seit langem in grenzübergreifenden Kulturregionen leben, sei nur schwer zu vermitteln, warum sie nun plötzlich Berlin als ihr kulturelles Zentrum betrachten sollten. Was wird sein, fragte Hummel sich und das Publikum, wenn europäische Angelegenheiten demnächst nicht mehr Gegenstand der Außen-, sondern der Innenpolitik sind? Im Bereich der Kultur sei das Europa der Regionen jedenfalls weiter gediehen, als man das von Berlin aus mitunter wahrhaben wolle.

Zuvor hatte Andreas Wiesand bedenkenswerte Anmerkungen in Sachen Bundeskulturminister zum Besten gegeben. Mit einiger Sorge beobachte er die Debatte, an der sich in den letzten Monaten bekanntlich auch insbesondere Mitglieder von Bündnis 90/Die Grünen beteiligt hatten. Zu befürchten sei ein generelles Rollback, das sich nicht nur an Begriffen festmacht. Wiesand erinnerte an die Diskussionen der 70er Jahre, die zu einer allgemeinen Erweiterung des Kulturbegriffs geführt hätten. Seitdem erachte man beispielsweise auch Agrar-, Sozial- und Bildungspolitik als Formen der Kulturpolitik.

Wenn jetzt wieder von Kultur im engeren, konservativen Sinn die Rede sei, bedeute dies einen Rückschritt, der unabsehbare Folgen haben könne. „Die Dimension von Kultur wird ärmer“, prophezeite Wiesand, der sich andererseits der Schaffung eines Bundeskulturministeriums auch nicht ganz verschließen wollte: „In Kombination mit dem Ressort Bildung könnte das okay sein“, als Anhängsel des Kanzleramtes jedoch, wie von der SPD geplant, mache es keinen Sinn.

Kritik am Vorhaben der SPD übte auch die geschäftsführende Direktorin der Stiftung Topographie des Terrors, Gabriele Camphausen. Eine zentrale bundesdeutsche Kulturbehörde ziehe lange Entscheidungswege nach sich, gab Camphausen zu bedenken. Dagegen stärke das gegenwärtig praktizierte föderale System „das Selbstvertrauen der Institutionen“. Das mag banal klingen, ist aber angesichts der derzeit herrschenden Verteilungskämpfe ums knappe Geld ein nicht zu vernachlässigendes Argument.

Natürlich waren an diesem Abend auch die üblichen Klagen über die gewissenlosen Bonner zu hören, die die Berliner Kultur in böswilliger Absicht auf dem trockenen sitzen ließen. Und da ist, mit ein paar Abstrichen, ja auch was dran. Auf der anderen Seite wurde einmal mehr klar, daß man in Berlin mit Beschwerdeführung allein nicht weiterkommt. Nicht unbedingt neu, die Erkenntnis, aber nach wie vor aktuell. Ulrich Clewing