Zu Hause gefangen

In einem Wilmersdorfer Mietshaus schikanieren ein Hauswart und ein Polizist ein deutsch-indisches Ehepaar  ■ Von Barbara Bollwahn

Mal ist es eine leere Toilettenrolle auf dem Rasen, mal ein Werbeprospekt auf dem Boden im Hausflur, ein anderes Mal stört die Klospülung die Nachtruhe im Haus – die Schuldigen sind schnell gefunden und immer die gleichen. Martina Bender-Singh und ihr indischer Ehemann Jasbir Singh*. Seit sie 1993 in das Mietshaus in der Düsseldorfer Straße in Wilmersdorf gezogen sind, wollen andere Mieter, die zum Teil seit 30 Jahren dort wohnen, auch das letzte Wort im Leben des Ehepaares haben.

Bestimmend in dem hellhörigen fünfstöckigen Gebäude aus den 50er Jahren ist die Hausordnung. Ihre Einhaltung überwacht der Hauswart. Seit 28 Jahren sorgt er dafür, daß die Haustür pünktlich um 20 Uhr und keine Minute später abgeschlossen wird, daß die nächtliche Ruhe nicht durch Umzugsgeräusche oder Musik gestört wird und daß die 17 Mietparteien selbst von der Blumenbank mit gehäkeltem Deckchen im Flur essen könnten. Damit das auch so bleibt, führt der 62jährige akribisch Protokoll.

So will er seine Vermutung beweisen, daß Martina Bender-Singh und Jasbir Singh „an der ausgehändigten Hausordnung wohl kein großes Interesse finden“. Minutiös notiert er, an welchem Tag die Haustür erst um 20.15 Uhr oder 20.50 Uhr abgesperrt wurde, wann sich Martina Bender-Singh oder ihr Ehemann erdreistet haben, ihre Mülltüten direkt in die Tonnen zu werfen, anstatt nur deren Inhalt zu entleeren, wann Wurfsendungen auf dem Fußboden im Treppenhaus gelegen haben. Weitere „Ferkeleien“ sind der Fund von 30 leeren Klopapierrollen auf dem Rasen im Garten innerhalb von fünf Monaten. Als weiteres „Beweismaterial“ hat er Aufzeichnungen von Telefonaten und persönlichen Gesprächen, die er mit einem Diktiergerät gemacht hat, das er stets „zufällig“ bei sich führt. Die größte Unterstützung bekommt der Hausmeister von einem Polizisten und dessen Ehefrau, die die Wohnung unter der des Hauswarts bewohnen.

Die alteingesessenen Mieter sind überzeugt, daß nur das deutsch-indische Paar ein nachvollziehbares Interesse daran haben könnte, Namensschilder an Briefkästen zu vertauschen, „Bitte keine Reklame“-Schilder abzumachen oder im Fahrstuhl Hakenkreuze in die Wand zu ritzen.

In einer Unterschriftensammlung beschwerten sich sieben Mietparteien gegenüber der Hausverwaltung über das Ehepaar. „Wir sind nicht in der Lage, die Hausordnung weiterhin in geordneten Verhältnissen zu bewältigen“, heißt es da. „Natürlich können wir es nicht beweisen“, heißt es weiter, aber alles spreche dafür, daß diese Dinge erst nach Einzug des Ehepaars eingetreten seien.

Martina Bender-Singh und ihr Mann dagegen benennen ein ganz anderes „Vergehen“: „Wir waren die ersten Ausländer, die hier eingezogen sind“, sagt die 29jährige, die derzeit ihre Doktorarbeit mit dem bezeichnenden Titel „Politik des Multikulturalismus in Kanada“ schreibt, „und die ersten jüngeren Mieter.“ Ihr Mann, ein 36jähriger Computernet-Ingenieur, der in einer großen Autofirma arbeitet und seit zehn Jahren in Berlin lebt, versteht nicht, warum ihm und seiner Frau „so viel Haß“ entgegenschlägt. Bei Aufenthalten im Ausland habe er „gelegentlich“ Haß erlebt. „Aber so etwas wie hier nicht“, sagt er kopfschüttelnd. Martina Bender- Singh ist überzeugt: „Wir sind denen ein Dorn im Auge.“

Daß das Haus extrem hellhörig ist und die rigide Hausordnung anscheinend noch nie richtig eingehalten wurde, scheint den langjährigen Mietern Grund genug zu sein, Leute zu schikanieren, die einen anderen Lebensrhythmus oder eine andere Hautfarbe haben. In dem knapp 140.000 Einwohner zählenden Wilmersdorf ist der Ausländeranteil mit 13,8 Prozent relativ gering. Jasbir Singh ist einer von 129 dort lebenden Indern.

Martina Bender-Singh erzählt, daß es anfangs „nur Kleinigkeiten“ wie Nichtgrüßen und Auseinandersetzungen wegen angeblicher Verstöße gegen die Hausordnung gewesen seien. „Das haben wir noch ignoriert“, sagt sie. Doch bald gerieten die Parteien verbal und körperlich aneinander, schalteten die Hausverwaltung ein, die mit „scharfen Abmahnungen“ gegen das Ehepaar reagierte. Man überzog sich gegenseitig mit Anzeigen. „Es ist schon ein Risiko, den Müll zur falschen Zeit runterzubringen“, beschreibt Martina Bender- Singh das Klima.

Für ihren Anwalt, Claus Radziwill, ist der Fall klar: Das Haus soll „ausländerfrei“ gemacht werden. Eine 25jährige Mieterin, die in der fünften Etage wohnt und mit einem Tunesier verheiratet ist, erzählt, daß sie ihre Wohnung bekam, als sie noch „nicht ausländisch hieß“. Als sie kurz darauf mit ihrem Mann die Wohnung renovierte, rief der Hauswart die Polizei. Sein Verdacht: Beschäftigung eines Schwarzarbeiters. „Das ist ein Klima der Einschüchterung und der Repression“, so der Anwalt.

Ein knappes Jahr nach ihrem Einzug zeigte Martina Bender- Singh das erste Mal einen Mieter wegen Körperverletzung und Beleidigung an. Der Mieter, so erzählt sie, habe seinen Geburtstag gefeiert und sei völlig grundlos mit Fäusten auf sie losgegangen und habe sie beschimpft. „Das war der Beginn einer offenen Feindschaft.“ Ein erlassener Strafbefehl gegen ihn wurde jedoch nicht rechtskräftig, weil der Mieter vor der Verhandlung an einem Herzinfarkt starb. „Auch an dessen Tod sollen wir schuldig sein“, sagt Martina Bender-Singh. Andere Verfahren wegen Beleidigung wurden eingestellt, weil die Beschuldigten die Vorwürfe abstritten und Martina Bender-Singh keine Zeugen hatte für Beschimpfungen wie „Ausländerhure“ oder: „Ich kriege euch beide hier schon raus, und wenn ich dich persönlich umbringen muß.“

Ihr Ehemann ist überzeugt, daß die Angriffe gegen seine Frau „geplant und gezielt“ stattfinden. „Seltsamerweise passieren solche Dinge immer, wenn ich nicht dabei bin“, sagt er. Jasbir Singh ist ein ruhiger Mann. Er hat nur einen Wunsch: „Ich arbeite viel und will nur in Ruhe leben.“ Er leidet darunter, daß ihm die Hände gebunden sind. „Ich bin kein Gandhi- Fan“, gesteht er. „Doch wenn mich der Polizist schlägt und ich schlage zurück, werde ich angezeigt“, weiß er. Deshalb hält er sich zurück. Seine Frau dagegen setzt sich zur Wehr und verteidigt ihr „manchmal emotionales Verhalten“ mit den überzogenen Beschwerden. „Der Hauswart empfindet schon jeden nächtlichen Gang zur Toilette als Ruhestörung“, sagt sie. Um nicht noch mehr nächtliche Ruhestörungen zu provozieren, hat das Paar sich keine Stereoanlage zugelegt. „Wir sind Gefangene im eigenen Haus“, sagt Jasbir Singh.

Sein Angebot an den Hauswart, „bei einem Tee von Mann zu Mann zu reden“, wurde ausgeschlagen. „Die sollten ein Jahr zwangsweise nach Kreuzberg zum Wohnen geschickt werden“, sagt er. „Sie sind so überzeugt, daß ihr Tun richtig ist“, fügt seine Frau hinzu.

Eine ältere Mieterin aus dem ersten Stock, die sich ständig über Lärmbelästigungen des deutsch- indischen Ehepaares beschwert, sagt mit Blick durch den Türspion: „Kein Bedarf.“ Die Frau des Polizisten öffnet die Tür einen Spaltbreit und sucht hinter der vorgelegten Kette Schutz: „Das liegt hier nur an einer Person“, sagt sie giftig. Gemeint ist Martina Bender- Singh. „Mit der Frau kann man nicht reden.“ Sie betont, daß die Probleme im Haus „nichts mit Ausländern“ zu tun hätten. Ihr Mann wollte sich nicht äußern. Der Hauswart zeigt sich unschuldig: „Wir im Hause hier sind die nettesten Menschen“, sagt er und verteidigt seine Wach- und Aufsichtstätigkeit: „Die haben sich nicht an die Hausordnung gehalten.“ Wie schon in seinen Protokollen erzählt er empört von „Trampeleien“, und daß sie die Mülltüten, ohne sie zu entleeren, in den Container werfen. Auf die Frage, ob solche Nichtigkeiten die Spannungen im Haus rechtfertigten, sagt er unwirsch: „Die Tante schießt quer und pöbelt Leute an.“ An einer Schlichtung hat er kein Interesse: „Es liegt mir fern, mit denen zu reden. Wenn ich irgendwo einziehe, habe ich mich der Hausgemeinschaft anzupassen“, stellt er klar.

Anfang dieses Jahres sollte der Mieterstreit vor dem Amtsgericht Tiergarten verhandelt werden. Der Vorwurf: Martina Bender- Singh soll den Hauswart unter anderem mit den Worten „Es kommt die Stunde der Wahrheit“ beleidigt haben und den Polizisten mit den Worten „Du lebst ja immer noch, du alter Rassistenpenner“. Doch es kam nicht zu der von beiden Seiten erhofften gerichtlichen Klärung. Die Richter sind machtlos, wenn sich die Angaben mehrerer Parteien unvereinbar gegenüberstehen.

Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Selbst das Büro der Ausländerbeauftragten, das das Ehepaar 1994 einschaltete, konnte den häuslichen Frieden nicht herstellen. Diesen Schlichtungsversuch hält die Sozialarbeiterin Elke Schmid vom „Büro gegen ethnische Diskriminierung“ für „sehr einseitig und vorwurfsvoll“. Doch auch ihre Versuche, als Mediationsbeauftragte zu vermitteln, schlugen fehl. „Wir sind gar nicht zum Zuge gekommen“, sagt die 34jährige, „es war zu weit eskaliert, die beteiligten Mietparteien wollten nur Recht vor Gericht bekommen.“ Doch auf diesem Weg sei „der innere Frieden“ nicht zu finden. Wenn keine Streitkultur vorhanden sei, könnten „radikale Positionen“ nur mit Mediation abgebaut werden – vorausgesetzt, alle Beteiligten wollen das.

Doch die Chancen stehen schlecht. Auch die Hausverwaltung schaut tatenlos zu. „Sollten Sie Auskünfte benötigen, wenden Sie sich bitte an den jeweiligen Mieter“, ließ sie das deutsch-indische Ehepaar in ihrem letzten Schreiben wissen. Gelegentlich denken Martina Bender-Singh und ihr Mann an Auszug. „Wir hätten gleich am Anfang ausziehen sollen“, sagt Jasbir Singh. Wenn sie jetzt das Handtuch werfen würden, „hätten die anderen gewonnen“, meint seine Frau. Auch wenn ihr Mann gelegentlich nicht mehr weiß, wie es weitergehen soll und er Angst vor einer Eskalation hat, kommt auch für ihn ein Auszug nicht in Frage: „Dann werden die anderen stärker, stärker, stärker“, sagt er.

*Namen von der Redaktion geändert