„Vielleicht müssen wir am Schluß etwas zaubern“

■ Countdown für die Einkaufsstraße am Potsdamer Platz: Der Zeitplan ist eng, doch die Baufirmen hoffen, rechtzeitig fertig zu werden. Nach dem 2. Oktober schließen einige Geschäfte wieder

Der Wachschutz an der Debis- Zitadelle hat den Überblick verloren. Hunderte von Arbeitern strömen stündlich durch den Bauzaun – die Hälfte von ihnen ohne die eingeschweißten Identitätskarten an den Jacken. Auch Bauhelme werden immer seltener. Auf Vorschriften kommt es in diesen Tagen nicht mehr an. Nur noch darauf, daß die glasüberdachte Geschäftsstraße mit 120 Läden im Inneren des Debis-Areals rechtzeitig fertig wird. Für den 2. Oktober, den Freitag der kommenden Woche, ist die offizielle Eröffnung der Einkaufspassage angesetzt.

Die Zufahrtstraße ins Herz der Geschäftshäuser mutet freilich noch immer an wie eine schlammige Piste mit riesigen Pfützen – am Pflaster wird noch gearbeitet. An den Außenfasaden stehen die Gerüste bis zum sechsten Stockwerk, und ein Kran hievt ein körperdickes Stahlrohr in die Höhe, auf daß es zur Verzierung an der Fassade befestigt werde.

Im Inneren der Passage, über der in Höhe des dritten Stockwerks ein Glasdach schwebt, herrscht atemloses Gewimmel. Fliesenleger, Installateure und Glasbauer kommen sich in die Quere, den Blick fest auf den Boden gerichtet, um nicht über Stahlrohre, Schläuche und Werkzeuge ihrer Kollegen zu stolpern.

Auf der Galerie im ersten Stock rauft sich ein Schreiner aus Göttigen die Haare: „Nur ein Lastenaufzug, der funktioniert.“ Und der befindet sich hinten in der Ecke, 50 Meter von dem Schuhgeschäft entfernt, dessen Inneneinrichtung die Firma baut. Eine elende Plackerei: „Wir brauchen den ganzen Tag, um den Lkw zu entladen.“ Trotzdem ist der Schreiner sicher, die Regale, Schränke und Zwischenwände bis heute abend fertiggestellt zu haben. Dann können die Schuhe kommen.

Nebenan sieht es ganz anders aus. In dem Geschäft fehlen sowohl der Bodenbelag auf dem Beton als auch die abgehängte Decke. Daß es knapp wird, und zwar sehr knapp, ist dem Parkettleger ins Gesicht geschrieben. Jeder Abnahmetermin komme zu früh, meint er diplomatisch: „Wir schaffen das schon, aber vielleicht müssen wir am Schluß etwas zaubern.“

Die offiziell „Arkaden“ genannte, regensichere Shoppingmeile liegt ungefähr auf der Mitte einer gedachten Linie zwischen Schöneberger Ufer und dem alten Weinhaus Huth. Alle Baubetriebe und Anlieferer haben lange, komplizierte Wege zurückzulegen. Zu Fuß geht es erst einmal in die Nähe des Potsdamer Platzes, wo die Betreiberfirma ECE die Zugangsgenehmigungen verteilt. So ausgerüstet, rollen die Laster vom Kanal aus in den Tiergartentunnel, der gleichzeitig als Zufahrt zum gesammten Komplex der Daimler- Benz-Tochter Debis dient. Aus dem dritten unterirdischen Stockwerk schaffen die Arbeiter ihr Material dann in die Arkaden.

Diesen Weg haben auch die Jacketts der Bekleidungsfirma Wöhrl genommen. Bei dem Textilausstatter ist die Einrichtung im Vergleich zu den anderen Läden am weitesten gediehen. Die Herrenanzüge hängen schon auf den Ständern – unter Plastikfolie, damit sie nicht einstauben. Die Ausstattung von Buchhandlung Hugendubels neuer Filiale erscheint zwar noch kärglicher, doch Werbeleiter Wolfgang Lemp ist sich sicher: „Ende dieser Woche werden die Bücher geliefert. Wir befürchten keine Katastrophe.“

Am 2. Oktober fällt allerdings nur der offizielle Startschuß – in Beisein von Bundespräsident Roman Herzog. Rechtzeitig zum Vereinigungsfeiertag rühmt sich Daimler-Benz dann seines Beitrages zum nationalen Imageprojekt „Berlins neue Mitte“. Die Konsumstraße dürfte danach einstweilen in einen nur von TouristInnen gestörten Dornröschenschlaf zurückfallen. Einige Läden zumindest wollen vorübergehend wieder schließen – um die Arbeiten erledigen lassen, die sie im Streß der vergangenen Wochen nicht schafften. Auch das neue Hyatt-Hotel startet dann er erst einmal eine gemütliche Probephase ohne richtige Gäste. Hannes Koch