Gerhard mit der wilden Frische der Limonen

Die Wahlspots der Parteien formulieren keine politische Aussagen, sie vermitteln Glücksversprechen und Angstgefühle  ■ Von Georg Seeßlen

Es war vermutlich eine hehre Idee, die parlamentarische Demokratie und die Medien miteinander zu verknüpfen, indem man den Parteien im Wahlkampf ein Recht zur Selbstdarstellung in Funk und Fernsehen einräumte. So entstand über die Jahre ein eigenes Genre der Fenrsehunterhaltung: der Wahlspot.

Auch in diesem Genre gibt es einen breiten Mainstream. Die großen „Volksparteien“ beschäftigen bewährte Agenturen und professionelle Gestalter, die wissen, daß es nur zwei Wege gibt, einen Käufer oder eine Käuferin zu motivieren: ihm und ihr ein Glücksbild malen (Heimat! Familie! Natur!), oder ihm oder ihr Angst zu machen (Hast du ein schlechtes Waschgewissen? Läßt du den Ausländer ins Land, der deinem Kind den Arbeitsplatz nimmt und seine Sitten verdirbt?).

Je mehr die Parteien sich der Mitte zugehörig fühlen, desto mehr arbeiten sie mit Glücksbildern. Dementsprechend muß man schon genau hinschauen, um zu verstehen, daß man nicht Margarine essen oder Kinderwäsche weiß waschen soll, sondern ein Kreuz an einer bestimmten Stelle machen. Das genau ist die Crux der Wahlspots der großen Parteien: Sie sind so professionell, daß sie nicht weiter auffallen.

Sie imitieren häufig bewährte Muster aus dem großen oder nicht ganz so großen Kino: Ein Werbefilm der CDU zeigt eine Frau, die in der Dämmerung mit einem Düsenflugzeug landet. Sie ist unglaublich happy, denn man kommt, so heißt es, nach Deutschland immer wieder gern heim. Gleich darauf kommt die Fahne ins Bild, die das alles erklärt. Das Ganze erinnert an den US-Propagandafilm „Nicht ohne meine Tochter“ und belegt anschaulich, worauf es den Wahlspots schon lange ankommt: auf die nationalistische Botschaft hinter der Waschmittelästhetik.

Auch die Nahaufnahme auf die Füllfeder, mit der Gerhard Schröder ein staatspolitisch wichtiges Dokument unterzeichnet, hat ein nicht so unverdächtiges filmisches Vor-Bild: Diese Einstellung benutzten die Fridericus-Rex- und Bismarck-Filme der Ufa nur zu gerne, um die schicksalshafte Größe ihrer Helden zu unterstreichen.

Die glücklichen Familien der Wahlwerbespots sind meistens ziemlich blond. Sie bilden geschlossene Systeme, Bilder, die vom guten Innen und vom gefährlichen Außen handeln. Bei der FDP hat diese traute Welt gleich die Form eines Laptop-Displays, auf dem die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte Deutschland abläuft. Draußen aber lauert das rot-grüne Chaos und gar die PDS.

Man imitiert in diesem Genre das gesamte mediale Umfeld: Formen des Kinos, der Werbung, des Entertainments, des Videoclips und der Vorabendserien. Das kann recht rührend daherkommen, wenn man den Wahlspot der Grauen sieht. Der zeigt eine Drei- Generationen-Idylle, in der am Ende der Großvater für den Enkel zu wählen verspricht, weil alle anderen doch viel zu alt sind. Recht haben sie. Aber vor kurzem hat man so noch für Karamelbonbons Reklame gemacht, und die Bildwelt ähnelt doch zu sehr der „Schwarzwaldklinik“, in der dann doch die Senioren am Ende wieder brav in der Ecke bleiben. Die Rückkopplung der gutgemeinten politischen Botschaften an Motive, die wir alle aus dem Fernsehen kennen, verstärkt die Idylle und verschleiert die politische Rhetorik.

Die kleinen Parteien rechts, und das ist die Mehrheit, können gegen die allumarmende Mainstream- Ästhetik nur kontern, indem sie das, was die Volksparteien untergündig vermitteln, offen aussprechen. Sie versuchen es vor allem mit konspirativen Home-Movies: Da sitzen ein paar „Republikaner“ zusammen um einen Tisch und schauen ganz wichtig, und dann sagt der Off-Sprecher, daß es jetzt mit der Politik in Deutschland wieder aufwärts gehe, weil der Vorsitzende Soundso schon hundertundsoundsoviel Anfragen eingebracht habe. Oder sie übertragen die Angstbilder in trashige Horrorfilme. Eine Initiative Pro DM läßt einfach Horrorfilmmusik im Hintergrund ablaufen, während der Vorsitzende erklärt, daß der Euro der Untergang Deutschlands ist.

Die kleineren Parteien können es sich nicht leisten, die Erzählformen von Kinofilm, Musikclip oder Waschmittelwerbung zu verwenden. Aber es gibt andere Formen der populären Unterhaltung in Deutschland, die sich als Vorlage eignen: In den entsprechenden Sendungen ist jedes Amateurvideo ein voller Erfolg, wenn nur irgendeine halboffene Sauerei darin vorkommt. Das macht sich die Deutsche Volksunion zunutze, wenn sie einen Werbespot in der Amateurvideo-Ästhetik präsentiert, indem es dauernd um Schweine geht. Es ist die Verbindung von Stürmer- Ästhetik mit Karnevalsrhetorik, die augenzwinkernd das Wissen einfordert, daß man da eigentlich was Verbotenes sagt. Nur daß es nicht um Sex geht, sondern um Politik.

Die Erzählweise der Volksparteien ist die Produktion des Mythos. Es ist der eine oder andere kleine Bildersturm, der in seinem Kern etwas anderes erzählt als an seiner Oberfläche, in seiner Erzählweise etwas anderes als im Erzählten. Wer geringere Mittel zur Verfügung hat, kann als Erzählweise nur schonungslose Wirklichkeitstreue wählen: eine Person, zum Beispiel, setzt sich und die Botschaften, für die sie einzutreten gedenkt, der Kamera aus – und imitiert dabei die armen Unterhaltungsformen des Fernsehens, das „Wort zum Sonntag“, das Ad-hoc- Interview, die Talkshow etc. Die zweite Möglichkeit ist die analogische Erzählweise. Man versucht dabei sozusagen wortwörtlich in Bilder zu übersetzen, was man ausdrücken will: Joschka Fischers Läuferfuß in der Schmutzlache – das heißt: unaufhaltsam, furchtlos, naturnah.

Der Unterhaltungswert der Spots der kleinen Parteien liegt zum einen gerade in ihrer ästhetischen und gedanklichen Unbedarftheit, zum anderen in ihrer Exotik. Von manchen Parteien würde man vermutlich überhaupt keine Kenntnnis nehmen, wenn sie nicht als Wahlspot vorkämen. Christoph Schlingensiefs Chance 2000 erweist sich auch in Sachen Wahlspots als ausgesprochen genrebewußt. Schlingensief schachtelt gleich mehrere der Erzählweisen der Wahlwerbespots ineinander und macht sie mehr oder weniger spontan kaputt.

Ansonsten aber funktioniert das Interesse an den Wahlspots der kleinen Parteien wohl am ehesten nach dem „Pleiten, Pech und Pannen“-Prinzip der unfreiwillig produzierten Komik. Bei der Mehrheit der Parteirepräsentanten mag sich der geneigte Zuschauer vor allem fragen, ob heute jemand dran ist, der noch weniger Tassen im Schrank hat als die Dame oder der Herr von gestern.

Auf diese Weise ist das Genre der Wahlwerbespots gleichsam dreigeteilt: der hemmungslose Medienjunk der Volksparteien, dem kein Trick der Werbepsychologie zu abgegriffen, kein Kitsch zu kitschig ist; der Geifer der neofaschistischen Parteien (oder der Parteien, die sich so nennen würden, wenn es erlaubt wäre) und schließlich eine politische Freakshow. Mit der Idee der Demokratie, die den Parteien einst den Zugang zu den Medien eröffnete, hat alles drei nicht das geringste zu tun.