Ross will Nahostmission nicht beerdigen

■ Erneute Vermittlungsgespräche des US-Unterhändlers machen Israels Teilrückzug aus dem Westjordanland nicht greifbarer

Jerusalem (taz) – Obwohl US- Unterhändler Dennis Ross auch nach einer mehr als einwöchigen Vermittlungsmission in der Region keine greifbaren Fortschritte vorweisen kann, wird ein israelisch-palästinensischer Gipfel in Aussicht gestellt. US-Präsident Bill Clinton soll Ende des Monats mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Palästinenserpräsident Jassir Arafat am Rande der UN-Vollversammlung in New York zusammentreffen und das Interimsabkommen über den nächsten Teilrückzug Israels aus dem Westjordanland unterzeichnen – falls bis dahin eine grundsätzliche Einigung erzielt ist. Doch die ist nicht in Sicht.

Netanjahus Pressesprecher dementiert eine solche Absicht. Ohnehin reist Netanjahu bereits am 24. September, Arafat dagegen erst Anfang Oktober zur UN-Vollversammlung nach New York. Während Netanjahu daran gelegen sein könnte, wenigstens einen Eindruck von Fortschritt zu vermitteln, dürfte Arafat daran gelegen sein, die israelische Blockade des Friedensprozesses anzuprangern.

Ross selbst zeigte sich nicht eben optimistisch. Es sei zu früh, eine Begräbnisfeier für seine Mission abzuhalten, erklärte er. Noch bestehe die Chance, die „Atmosphäre in der Region zu ändern“. In einem Artikel der PLO-kontrollierten Tageszeitung Al-Hayat al- Jadida war Ross als „Shylock“ bezeichnet worden, der „drei Prozent aus dem Körper des Opfers“ herausschneiden wolle.

Inoffiziell liegt der US-Vorschlag eines zweiten israelischen Teilrückzugs in Höhe von 13,1 Prozent auf dem Tisch. Dem hat Netanjahu im Prinzip zugestimmt. Er will das Gebiet aber als sogenannte C-Zone unter völliger militärischer und ziviler israelischer Kontrolle belassen. Erst nach Beendigung der Abschlußverhandlungen soll auch dieses Gebiet den Palästinensern übergeben werden. Hintergrund dieses Manövers ist das Versprechen Netanjahus gegenüber seinen konservativen und religiösen Koalitionspartnern, nicht mehr als zehn Prozent des Westjordanlandes in einem zweiten Teilrückzug preiszugeben. Aber die Abgeordneten der „Groß-Israel-Front“ haben damit gedroht, die Regierung zu stürzen, falls Netanjahu auch nur ein Prozent des Landes räumt.

Laut dem Hebron-Abkommen vom Januar 1997 ist Israel freilich zu drei Teilrückzügen verpflichtet, die bereits hätten abgeschlossen sein müssen. Ein weiterer Streitpunkt liegt darin, daß Netanjahu nunmehr fordert, den dritten Teilrückzug auszusetzen und direkt mit den Abschlußverhandlungen zu verbinden. In diesen Verhandlungen sollte ursprünglich nur noch über Fragen wie Jerusalem, die Siedlungen und die endgültigen Grenzen verhandelt werden.

Auch wenn Netanjahu sich als Regierungschef an die internationalen Verträge gebunden fühlt, ist er doch eher den Extremisten in seiner Regierungskoalition zugeneigt. Das macht sein Dilemma aus. Falls er die Verträge einhält, wird er die Unterstützung weiter Teile des rechten Lagers und damit einen entscheidenden Teil seiner Wählerklientel verlieren. Er steht schon unter Druck, weil er bislang keine Baugenehmigung für den umstrittenen Hügel Har Homa oder Jebel Abu Ghneim erteilt hat. Das Siedlungsvorhaben hatte vor anderthalb Jahren zum Abbruch der israelisch-palästinensischen Verhandlungen geführt.

Vielleicht wären Neuwahlen, wie sie derzeit von der Knesset beraten werden, ja nicht die schlechteste Lösung, um den gordischen Knoten zu durchschlagen. Die abgeriegelten Palästinenser wären damit freilich auch weiterhin zu Geduld und Stillhalten verurteilt. Georg Baltissen