An den Schaltstellen der Macht sitzen Sowjetkader

■ In Rußlands neuer Regierung dominieren die alten Kräfte. Trotz Beteiligung von Reformern

Moskau (taz) – Rußlands Kompromißpremier Jewgeni Primakow hat die Schlüsselpositionen in seinem Kabinett vergeben. Arithmetisch gesehen gleicht die Regierung einer ausgewogenen Mischung aus reformorientierten Zentristen und Anhängern staatlicher Planwirtschaft. Insofern hielt Primakow sein Versprechen, an Demokratisierung und Marktwirtschaft festzuhalten, wenn auch mit gedrosseltem Tempo.

Die Besetzung der Schaltzentralen mit Sowjetkadern deutet aber in eine andere Richtung. Um die Wirtschaftspolitik wird sich Vizepremier Juri Masljukow kümmern. Bis 1991 leitete er die Zentrale der staatlichen Plan- und Kommandowirtschaft „Gosplan“. Masljukow ist ein Lobbyist der Rüstungsindustrie. Staat, Plan und Renationalisierung von Schlüsselindustrien sind Eckpfeiler seines Antikrisenprogramms.

Das Tandem Masljukow und Wiktor Geraschtschenko, neuer Chef der russischen Zentralbank, wird die Wirtschaftspolitik maßgeblich bestimmen. Geraschtschenko kehrt zum dritten Mal an die Spitze der Notenbank zurück. 1994 verursachte seine Emissionspolitik am „schwarzen Dienstag“ den Sturz des Rubels. Die jetzige Krise will der Banker mit der gleichen Medizin therapieren. Kontrollierte Emission kündigte er an, um Lohnrückstände des Staates zu begleichen. Die Drehzahl der Notenpresse hänge jedoch davon ab, welche Mittel der IWF gewähre...

Im neuen Kabinett übernimmt Alexander Schochin als Vizepremier die Finanzpolitik. Schochin ist Fraktionsvorsitzender der Partei des geschaßten Premiers Wiktor Tschernomyrdin „Unser Haus Rußland“. Bisher hatte sie an der Inflationseindämmung festgehalten. Aus dem Munde des neuen Vizepremiers klang es indes euphemistisch, ein „vernünftiges Management der Geldversorgung“ sei vonnöten. Sein Parteikollege Wladimir Ryschkow soll als Vizepremier den Sozialbereich betreuen. Den politischen Schwergewichten Masljukow und Geraschtschenko, mit ihren Lobbies aus „roten Direktoren“ und Finanzoligarchen, können die beiden Zentristen nicht das Wasser reichen. Die bis gestern hinausgezögerte Entlassung des Vizepremiers und Chefs der Steuerbehörde, Boris Fjodorow, sagt indes mehr aus als jeder weitere einflußlose Kabinettsposten. Fjodorow gehört zu den Reformern der ersten Stunde und genießt in westlichen Finanzkreisen einen guten Ruf.

Nachdenklich stimmt, daß der neue Premier die Gefahren eines Rollback nicht durchschaut. Über Nacht tauchten Politiker und Berater auf, die sich vor acht Jahren in ihre Bibliotheken zurückgezogen hatten. Renommierte Akademiker wie Leonid Abalkin und Oleg Bogomolow unterbreiteten Primakow ihre Krisenstrategie, die sich mit den Vorstellungen des Zentralbankchefs deckt. Die sozialistischen Ökonomen waren maßgeblich an der Ausgestaltung der Politik der Perestroika beteiligt.

Die Unentschlossenheit dieser Generation, die Wirtschaft umzubauen, hatte verheerende Konsequenzen: 1991 setzte der KPdSU- Generalsekretär das Staatsschiff endgültig auf Sand. Die alten Kader sind mit Hilfe der kommunistischen Opposition zurück in die Führungsetagen gelangt. Dennoch trügt das Bild. Die Gorbatschowianer teilen nicht das Weltbild der chauvinistischen und populistischen Kommunisten. Hatte die Wahl Primakows deren Chef Gennadi Sjuganow noch in Entzücken versetzt, ging er später auf Distanz. Verantwortung im neuen Kabinett lehnte die KPRF ab. Reicht ihr Mut nicht für den Griff nach der Macht? Oder sehen die Kommunisten das Scheitern der Perestroika II voraus? Beides trifft zu.

Etappensieger sind die Apparatschiks des Gorbatschow-Clans. Die Alternativen der Regierung geben wenig Anlaß zur Hoffnung. Sollten die liberaleren Kräfte im Kabinett sich Gehör verschaffen, würde das die Regierung lähmen. Ziehen die Altkader ihr Programm durch, droht Rußland eine noch schwerere Krise. Klaus-Helge Donath