Königin der Peinlichkeiten

Als „schönster Mann der Welt“ gab Helmut Berger die Rolle des Dorian Gray. Er selbst wurde mit wachsendem Alter nicht zum Monstrum, sondern zu einer liebenswürdigen Krawallschachtel. Nun hat das Medienschätzchen von einst eine Autobiographie verfaßt – eine grandiose Erzählung zwischen Exzentrik und Jet-set-Tratsch  ■ Von Reinhard Krause

Nein, das hatte sich Hänschen Rosenthal anders vorgestellt, ganz anders. Bis zum Kandidatenspiel mit dem Staffelstab war alles noch halbwegs normal gelaufen. Doch nun reichte ihm der Kandidat die Stafette nicht zurück. Statt dessen mußte der verblüffte Showmaster erleben, wie der Kandidat seine ausgestreckte Hand ergriff und wie zu einer Pavane über die „Dalli-dalli“- Bühne stolzierte. Peinlich! „Ich wollte nur Ihren Stab!“, entfuhr es Rosenthal in mattem Protest. „So so“, kam es anzüglich zurück, „meinen Stab wollten Sie...!“

Auftritte wie dieser haben dazu geführt, daß Helmut Berger nicht nur einen Ruf als Darsteller hat, sondern auch einen als Skandalnudel. Wenn eine Talkrunde aufgemischt werden soll, ist Helmut Berger eine sichere Bank. „Mein Image, das ich selbst verursacht habe, stört mich“, hat er nun selbst festgestellt, „vor allem, wenn ich in Deutschland bin und die wenig freundlichen Reaktionen der Presse erlebe. Dann sage ich mir, Gott sei Dank halten sie dich für irre. Das ist doch der wahre Grund für die Einladungen in deutsche Talkshows. In Italien und Frankreich, wo man mich vor allem wegen meiner Filme und meines Witzes schätzt, ist das ganz anders.“

Allerdings dürften auch dort nicht allzu viele Stars und Sternchen herumlaufen, die den Kult des Peinlichen so souverän beherrschen wie der flotte Österreicher. Wer sonst erzählt so atemberaubende Geschichten wie die von der verpatzten Tanzveranstaltung bei Grimaldis? Eines Abends war Berger an den monegassischen Hof zu einem Dancing geladen. Keine Frage: gute Gelegenheit, sich in den weißen Smoking zu werfen. Und vorher noch etwas Kokain. Vermutlich war's eine Spur zuviel, denn später bei Tisch wuchs sich ein harmloser Berger-Pups zur glitschigen Katastrophe aus. Angriff ist die beste Verteidigung, dachte Helmut Berger und beklagte sich über die üble Brise, die vermeintlich aus dem Fenster hereinwehte. Grimaldis mußten ihm leider recht geben. Es stank wirklich zum Himmel. Zu allem Unglück hatte sich Prinzessin Caroline auch noch in den Kopf gesetzt, mit Berger ein Tänzchen wagen zu wollen. Sie quengelte, sie bettelte – vergebens. Nein, heute nicht. Irgendwann war die Monegassenprinzessin stinksauer auf Berger. Der jedoch mußte neun Stunden in seinem Schlamassel sitzenbleiben, bis auch der letzte Gast gegangen war.

Nun hat Helmut Berger eine ganze Armada solch schaurigschöner Krawallgeschichten zu einer Autobiographie zusammengefaßt. Der programmatische Titel: „Ich“. Assistiert hat ihm dabei Holde Heuer, eine Münchner Journalistin und alte Freundin des Exzentrikers. Herausgekommen ist ein unterhaltsames Werk mit deftigem Jet-set-Klatsch und vielen O-Tönen: „Bin i lieb, bin i der Liebste. Und bin i bös, bin i der schlimmste Mensch auf Erden.“ Wohl wahr.

Skurril wie der Schauspieler selbst ist, hält auch sein Buch Ausschweifungen, Hopser und Überraschungen parat. Allein die Kapitelüberschriften! Selten gab es so verblüffende Kombinationen wie hier: „Soraya trug Perücke, Lagerfeld hielt mich für blöd“ oder „Ich hänge nackt in der Tate Gallery, und Helmut Newton betrog mich auch“ oder „Al Pacino war frech, Fidel Castro eine sinnliche Hexe“. Auch nicht schlecht: „Franco Nero saß mir bös im Nacken, Joan Collins auf der Hühnerleiter“.

Auf den ersten Blick mag es erstaunen, daß jemand, der in der Öffentlichkeit keine Peinlichkeit scheut, von sich behauptet: „Im Grunde meines Wesens bin ich schüchtern.“ Aber sind nicht die meisten Menschen, die von der Natur mit frappierender Schönheit ausgestattet wurden, zutiefst unsicher, ob sie nicht nur wegen ihrer Attraktivität umschwärmt werden? Wer weiß, ob Helmut Berger ohne sein ebenmäßiges Gesicht, ohne den weichen und zugleich verschlossenen Zug um die Mundwinkel je Schauspielkarriere gemacht hätte?

Geboren wurde er am 29. Mai 1944 als Helmut Steinberger im österreichischen Bad Ischl. Sein Vater, ein Hotelier, hatte nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft nur seine verschiedenen Restaurationsbetriebe im Salzburger Land im Kopf. Sommerferien waren Hauptsaison und mithin für Reisen tabu. Der Sohn wurde gegen seinen Willen auf Hotelfachschulen geschickt und türmte eines Tages über die Schweiz nach London. Ziel: Schauspieler werden.

In London jobbte Berger in den richtigen Lokalen und war bald – man schrieb das Jahr 1963 – Bestandteil des „Swinging London“. Flower-power, Halluzinogene und sexuelle Befreiung boten einen Vorgeschmack auf den Jet-set, der für Berger anbrach, als er 1966 dem italienischen Regisseur Luchino Visconti begegnete. Die leidenschaftliche Liaison hielt zwölf Jahre, bis zum Tod des Regisseurs. Bis heute empfindet sich Berger als „Viscontis Witwe“. Eine neue Beziehung, sagt er, würde dem Vergleich nicht standhalten.

Die Schilderung der Lebensgemeinschaft mit dem 32 Jahre älteren adligen Regisseur zählt zu den interessantesten Partien der Autobiographie. „In der Öffentlichkeit“, liest man verblüfft, „war Luchino nie zärtlich zu mir. Er hat nie meine Hand gehalten. Auch zu Hause nicht. Unser Liebesleben war sehr zärtlich und diskret.“ Selbst vor den eigenen Angestellten wurde die Form gewahrt. Berger: „Je länger wir ein Paar waren, desto mehr enttäuschte mich unser Versteckspiel, der abrupte Abschied nach Lust und Liebe. Er versuchte mir zu erklären, warum es sich so und nicht anders gehörte.“ Auch in puncto Treue hatten die altmodischen Auffassungen des Italieners merkwürdige Arrangements zur Folge. „Später, als ich in ihn verliebt war und wir in Rom miteinander lebten, versuchte ich treu zu sein. Außer bei meinen Frauenbeziehungen, die er respektierte.“ Verrückte Welt.

Als Schauspieler wurde Helmut Berger von Visconti systematisch aufgebaut, auf Sprach- und Schauspielschulen geschickt und zunächst nur in einer Nebenrolle besetzt (“Hexen von heute“, 1966). Um Erfahrung zu sammeln, spielte Berger unter anderem in der eher dürftigen deutsch-itaienischen Koproduktion „Das Bildnis des Dorian Gray“. Der künstlerische Durchbruch gelang erst mit Hauptrollen in Visconti-Filmen, etwa als dekadenter Industriellensohn in „Die Verdammten“ (1968). Neben einer Inzestszene mit seiner Filmmutter Ingrid Thulin sorgte vor allem Bergers Marlene-Dietrich-Parodie für Furore.

Doch das war nur der Auftakt zu Bergers schauspielerischem Triumph in der Titelrolle von Viscontis Dreistundenepos „Ludwig II.“ aus dem Jahr 1972. Die Wandlung vom schwärmerischen jungen Bayernkönig zum Paranoiker mit zunächst karamellartig verfärbtem und schließlich gänzlich ruiniertem Gebiß gelang Berger hinreißend. Eine der bestürzendsten Szenen zeigt den König in einem muschelförmigen Nachen sitzend und von Schwänen umgeben in der berühmten Venusgrotte. Mit dieser monströsen Inszenierung, die die Grenzen des Peinlichen weit hinter sich läßt, sucht Ludwig II. einen jungen Schauspieler zu umwerben. Die geradezu verängstigte Unbeholfenheit, die Berger in dieser Szene gestaltet, läßt sich nur mit Jean Marais' Darstellung in „Die Schöne und das Biest“ vergleichen.

Nach Viscontis Tod im Jahr 1976 stürzte Berger in eine schwere Krise, verfiel dem Alkohol und beging einen Selbstmordversuch. Zwar gingen weiterhin Filmangebote bei ihm ein, das Format der Visconti- Filme ließen diese Arbeiten allerdings deutlich vermissen. Erst in der Titelrolle von Claude Chabrols TV-Serie „Fantomas“ gelangte er 1979 wieder ins Bewußtsein eines größeren internationalen Publikums. 1983/84 gab er ein Gastspiel im „Denver Clan“.

In Deutschland sind viele der späteren Berger-Filme gar nicht erst in den Kinos angelaufen. Kein Wunder also, daß hier das öffentliche Bild von seinen spektakulären Fernsehauftritten geprägt wurde. Auch Bergers Autobiographie liefert nicht viel Aufschluß über seine Arbeit als Schauspieler – zu sehr verstrickt sich das Gespann Berger/Heuer in der Schilderung der Seventies-Schickeria.

Dabei hat Berger mehr zu bieten als diese oberflächliche Szene. Als Selbstdarsteller nämlich hat Helmut Berger nach dem Tod seines berühmten Mentors und Liebhabers eine zweite, bemerkenswerte Karriere gestartet. Niemand versteht es wie er, auf nonchalante Art die Konventionen der öffentlichen Rede zu sprengen, Intimstes auf Small-talk-Manier breitzutreten, Kollegen bloßzustellen – und trotzdem nicht als Mann ohne Charakter zu erscheinen. Der Österreicher – der letzte große Exzentriker, ein Grandseigneur des Skandals.

Ob allerdings die Wandlung vom strahlenden Beau zur Skandalnudel auch die Zustimmung seines früheren Lebenspartners gefunden hätte, bleibt eine offene Frage. Auch Berger mag da seine Zweifel haben. Immerhin hat er erkannt, er selbst sei „wie die Salzburger Nockerl: süß, leicht, in Maßen gegessen eine Köstlichkeit, aber ein Zuviel verursacht einen Eiweißschock“.

Helmut Berger: Ich. Die Autobiographie. Ullstein, Berlin 1998, 304 Seiten, 44 Mark