„Am Anfang hatte ich Lampenfieber“

■ Heinrich Hannover ist Bremens bekanntester Jurist. Was er aus Kommunisten- und RAF-Prozessen lernte, hat er jetzt in zwei Büchern beschrieben und uns erzählt

Dreieinhalb Jahre arbeitete Heinrich Hannover an der publizistischen Aufarbeitung seines erfahrungs-, frust- und erfolgreichen Arbeitslebens als DER Rechtsanwalt der deutschen Linken vier Jahrzehnte hindurch. Eine Art Berufsbiografie auf 2 x 450 Seiten. „Da bin ich richtig fleißig gewesen, allerdings nicht so militant wie Thomas Mann, der sich streng nach der Uhr der Schreibfrohn unterwarf. Manchmal aber saß ich schon vor Sonnenaufgang am Schreibtisch.“ Für diese Erinnerungsarbeit verzichtete der 1925 in Anklam geborene Hannover auf gar manche interessante Fälle, zum Beispiel auf eine Mitwirkung bei der Verteidigung des verdächtigten Libanesen beim Lübecker Brandprozeß. Wohnen tut er im abgelegensten Winkel von Worpswede. Nach Bremen zieht es ihn immer seltener. „Gelegentlich mal ins Kino. ,Wenn der Postmann gar nicht klingelt' war ein schöner Film.“ Vorstellen kann er es sich aber durchaus, demnächst wieder öfter in seiner Bremer Kanzlei aufzutauchen. Dort arbeiten sechs Rechsanwälte, u.a. auch eine der vier Töchter. Der Name Hannover zieht auch in schwierigen Zeiten Mandanten an, bestimmte Mandanten. „Steuerflüchtlinge gehören eher nicht dazu.“

Geburt und Genese einer politischen Haltung

In Ihrem Buch schildern Sie die krummen Wege, auf denen Sie zu Ihrem Engagement für die Linke fanden.

Ich kam keineswegs als Sozialdemokrat auf die Welt, stamme vielmehr aus gutbürgerlichem Hause. Man war strikt antikommunistisch und wollte mit der Welt jenseits des Wohnzimmers möglichst wenig zu tun haben. Der Krieg machte mich zum Pazifisten.

Die Kugel sitzt noch immer im Hals?

Noch immer direkt an der Wirbelsäule. Beschwerden habe ich aber nicht. Streng genommen war es ein Zufall, der mir den Antikommunismus austrieb. Meine erste Pflichtverteidigung galt einem Kommunisten. Damals war es mir noch ganz arg wichtig, mich vor Gericht von den politischen Ansichten meines Mandanten deutlich zu distanzieren. Erst später begriff ich, wie schädlich in politischen Prozessen eine solche Haltung ist. Die eigene Einstellung fällt gewissermaßen unter anwaltliche Schweigepflicht – übrigens auch gegenüber dem Mandanten. Mit Ulrike Meinhof allerdings habe ich viel und heftig gestritten. Wir beendeten die Zusammenarbeit. Der Mandant muß das Gefühl haben: Mein Anwalt steht voll hinter mir. Wenn einem eine Sache zu widerlich ist, muß man konsequent sein und den Fall eben ablehnen.

Nach Ihrem ersten politischen Prozess, wurden Sie von ihrer früheren Klientel, Bürgertum und Geschäftsleute, abgelehnt...

...als Kommunistenverteidiger. Ich war zu Hause in Kaufmannskreisen und Intellektuellenkreisen. Mit meinem ersten politischen Prozeß war es damit schlagartig zu Ende. Man partizipiert an dem Haß, der dem Mandanten entgegengebracht wird. Das läßt einen übrigens keineswegs kalt.

Auch nach Jahrzehnten nicht?

Nicht, wenn die eigenen Töchter durch anonyme Anrufe bedroht werden.

Warum entschieden Sie sich für das Jurastudium? Um reich und geachtet zu werden?

Ich trat eher an mit großen rechtsstaatlichen Idealen, die mir allerdings im Laufe meines Lebens abhanden gekommen sind. Den von der bürgerlichen Gesellschaft mir auferzwungenen Platz an der Seite der Kommunisten, habe ich erst widerwillig, dann mit zunehmender Anteilnahme erfüllt.

Warum die Kehrtwende?

Es mag sich kitschig anhören, aber meine Zuneigung gehörte immer den einfachen Leuten. Als ich nach dem Krieg sieben Monate als Waldarbeiter arbeitete, um später mal meinen Wunschberuf des Försters zu realisieren, da gab es den Haumeister Mücke aus Altenritte bei Kassel. Der spendierte mir immer ein Süppchen, weil er sah, daß ich hungerte.

Später im Beruf lernte ich Kommunisten kennen, deren Biografie mich sehr beeindruckte. Sie standen im 3. Reich im Widerstand an vorderster Front unter höchsten persönlichen Kosten und waren nach dem Krieg wieder zur Stelle, als es um die Wiederaufrüstung ging. Sie nötigten mir tausend Mal mehr Achtung ab als die Gegenseite, jene Richter und Staatsanwälte, die immer nur bequem ihren Posten ausfüllten – während der Nazizeit und später nicht anders.

Deshalb der Goldhagen-Begriff von den „willigen Vollstreckern“ an einer Stelle des Buchs?

Richtig, um auf die Kontinuität in der Justiz hinzuweisen. Unsere Demokratie ist mit sehr hohen Zielen angetreten und steckte wenige Jahre später ehemalige KZ-Opfer ins Gefängnis, weil sie die ,falschen' Flugblätter druckten. Selbst der Rentenanspruch aus der KZ-Haft wurde ihnen gestrichen. Das empfand ich als entsetzlich.

In Ihrem Buch vermeiden Sie politische Stellungnahmen, die über die konkreten Einzelfälle hinausreichen. Sie beklagen allerdings die Zurückweisung des PDS-Gesetzentwurfs zur Wiedergutmachung von Unrechtsurteilen in der ehemaligen BRD sehr vehement.

Es hieß, unsere Justiz hätte im Gegensatz zur DDR-Justiz immer rechtsstaatlichen Prinzipien gehorcht. Das ist nicht der Fall. Nicht nur in den frühen Kommunistenprozessen, auch bei der RAF gab es haarsträubende Fehlurteile.

Wie funktionieren denn solche Fehlurteile?

Zum Beispiel, indem Polizisten auf ihr Aussageverhalten geschult werden. Schwer ist dann zu ermitteln, was Beamte wirklich wahrgenommen haben, was in sie hineingelegt wurde, zum Beispiel durch Nachstellen der kritischen Situation oder durch Kenntnis der Aussagen der anderen Polizisten. Leider ist bei Richtern da überhaupt kein Problembewußtsein vorhanden. Polizeibeamte haben bei denen einen Glaubwürdigkeitsvorschuß. Das läßt sich auch oft durch geschickte Befragung nicht wettmachen.

Wo ist denn Ihrer Meinung nach Schluß mit der Gedankenfreiheit?

Es sollte in diesem Land keine Minderheit geben, die vom politischen Spiel ausgeschlossen ist. Ich bin alles andere als ein orthodoxer Kommunist. Aber mit ihrem Protest gegen die atomare Hochrüstung hatten die Kommunisten einfach Recht. Ich sah mit Entsetzen, daß die Sozialdemokraten Positionen aufgaben, nur aus Furcht, mit Kommunisten verwechselt zu werden: Asylpolitik, Friedensbewegung, Arbeitslosigkeit, Atomenergie, all diese Themen wurden stiefmütterlich und unentschieden behandelt, sobald auch nur ein Kommunist, ein Autonomer oder ein anderes verdächtiges Subjekt mitdebattierte. Selbst die Ostermärsche standen bald unter Kommunismusverdacht. Ich habe trotzdem ab 1961 daran teilgenommen. Auch Gerhard Schröder ist getrieben von dieser Phobie. Sie ist die Crux unserer ganzen Nachkriegspolitik.

Berufsalltag eines unbequemen Rechtsanwalts

Was macht einen guten Anwalt aus?

Was ist ein guter Anwalt? Einer der viel Geld verdient und sich finanzkräftige Mandanten an Land zieht? Dann bin ich kein guter Anwalt. Bei Strafprozessen geht es wohl darum, das Gericht die Vorgänge im Täter möglichst einfühlsam nachempfinden zu lassen.

Welche Rolle spielt der Inhalt, welche die Verpackung, also die Rhetorik?

Das ist sehr unterschiedlich. Bei Schöffen dringt eine anschauliche Rede durchaus leichter in die Herzen als eine steife. Aber auch Zeugen lassen sich von Suggestivfragen blenden. Schnell rückt dann eine Sache ins falsche Licht. Psychologisches Gespür ist deshalb unabdingbar. Aber auch ein Wissen von den politischen Bedingungen des Richterbewußtseins. Bei den politischen Prozessen der 70er Jahre etwa stand im Grunde das Urteil schon am ersten Verhandlungstag fest. Zwei Ausnahmefälle gab es aber doch: der Fall Karl-Heinz Roth und der Fall Astrid Proll. Beide erhielten einen Freispruch. Im Unterschied zu vielen anderen Prozessen, wo geschlampt wurde und vieles einseitig gedreht und gewendet wurde, war hier die Beweisaufnahme fair.

Wie zeitaufwendig ist das Verfassen von Plädoyers.

Manche werden in nächtelanger Mühe ausgearbeitet. Die aus dem Handgelenk sind aber oft die Besten. Bei größeren Prozessen muß man Stichworte vor sich liegen haben, um kein Detail der Beweisaufnahme zu vergessen.

Bereitet es Vergnügen, ein Plädoyer zu halten?

In der Regel ja. Am Anfang aber hatte ich Lampenfieber.

Ein Glas Wein getrunken?

Durch Routine bewältigt.

Nachher schon Mal vom Gefühl gequält, versagt zu haben?

Manchmal, etwa über eine unglückliche Formulierung. Andererseits redet man oft sich selbst mit seinem Plädoyer so in Rage und Zuversicht, daß man felsenfest überzeugt ist: Der Freispruch muß kommen.

Tut er's dann?

Nicht immer.

Blödes Gefühl?

Das läßt einen natürlich nicht los. Vor allem, wenn man überzeugt ist, der Mandant ist nicht nur entschuldbar, sondern absolut unschuldig.

Wie oft kam denn das vor?

Weiß ich nicht.

Dreimal?

Sehr viel mehr.

So irrtumsanfällig ist die Justizmaschinerie?

Sie wird von Menschen gemacht. Leidenschaften und Vorurteile spielen eine große Rolle. Außerdem gibt es Klassenjustiz. Allein schon deshalb, weil Menschen mit unelaborierter Sprache oft ihrer eigenen Sache schaden. Einen typischen Fall können Sie in meinem Buch nachlesen: Otto Becker, der den sprachlichen Tricks der Vernehmungsbeamten nicht gewachsen war. Außerdem war er Alkoholiker und homosexuell, und das konnte damals ein Gericht schon beeinflussen.

Schon mal Fälle abgelehnt?

Aber ja; ich konnte mir das aber auch dank guter Auftragslage leisten.

Der Anteil der politischen Fälle?

Verschwindend gering. In der Regel ist damit auch nichts zu verdienen. In den 70er Jahren lagen die Tagessätze für Pflichtverteidigung bei 90 Mark. Prozentual der größte Anteil waren die Kriegsdienstverweigerer. 1956 wurde die Wehrpflicht eingeführt. Ich war gleich bei den ersten Grundsatzprozessen dabei. Ich habe die Bundeswehr um etliche Tausend Rekruten beraubt. Die fälligen Prozeßkosten kamen dem Bund sicher so teuer wie ein kleiner Panzer. Für meine Praxis dagegen hat sich das gelohnt. Die Wehrbehörde in Bremen bekam sogar mal eine Anfrage aus dem Bundesverteidigungsministerium, warum denn in Bremen so viele Prozesse verloren gingen; das waren in einem Jahr schon mal 80 Prozesse.

Was halten Sie von der heutigen Bewertung von Verbrechen. Ist das Strafmaß richtig abgewogen in Sachen Diebstahl, Vergewaltigung, Wirtschaftsverbrechen?

Das wäre schön, wenn die Richtigen bestraft würden. Bei Wirtschaftsprozessen, bei NS-Verbrechen und anderem staatstragendem Personal sind die Verhandlungsstrategien und Umgangsformen sehr viel freundschaftlicher als bei Strafprozessen gegen Kleinkriminelle und Linke. Da findet sich schnell eine gütliche, gemütliche Einigung auf eine Bewährungsstrafe oder Freispruch, auch da, wo eine Haftstrafe angebrachter wäre. Nach 40 Jahren Strafverteidigung kann man über Strafjustiz nicht viel Gutes sagen.

Hat ein humanistischer Anwalt nicht früher oder später für jedes Verbrechen ein gewisses Maß an Verständnis und Einfühlungsbereitschaft?

Erstaunlicherweise sind es gerade die Mörder, denen man Verständnis oft nicht verweigern kann. So manchmal gesteht man sich ein: Das hätte mir auch passieren können. Beispielsweise, wenn eine jahrelang vom Ehemann mißhandelte Frau diesen tötet. Wenn man das psychologisch aufdröselt, bleibt am Ende kein Quentchen mehr von Schuld übrig.

Die Konsequenz?

Es wird viel zu wenig darüber nachgedacht, ob Strafe überhaupt eine angemessene und sinnvolle Reaktion auf Kriminalität ist. Mörder zum Beispiel sind meist keine Wiederholungstäter. Unsere mißhandelte Ehemannmörderin zum Beispiel wird nie wieder morden. Wem nützt, wen schützt ihre Inhaftierung? Und Wiederholungskriminalität ist oft zwanghaft, also durch Strafandrohung nicht zu bändigen. Da hatte ich mal eine Psychologin, die war notorische Kleptomanin.

Eine Psychologin?

Wissen schützt vor nichts. Kriminalität hat andere Ursachen als Dummheit. Es ist eine verantwortungslose Sozialpolitik, die seelische Verwahrlosung erzeugt. Zur Zeit wird am falschen Ende gespart. Aber Sparen kann teuer sein. Gefängnisse kosten nämlich viel.

Die RAF und der Garten

Hatten Sie vor RAF-Angehörigen dieselbe Hochachtung wie vor den Kommunisten mit KZ-Hintergrund?

Für die RAF-Ideologie konnte ich nur sehr begrenzt Verständnis aufbringen. Aber ich kannte Ulrike Meinhof vor ihrer RAF-Zeit. Ich halte sie für eine der bedeutendsten PublizistInnen, die die Linke je gehabt hat. Ich empfand es als außerordentliche Tragik, daß sie in den Terrorismus abgeglitten ist. Das war übrigens kein bewußter Schritt. Sie dachte, an der gewaltlosen Baaderbefreiung mitzuwirken und ist in ein Verbrechen reingeschliddert, mußte von einem Tag zum nächsten in den Untergrund, ganz unvorbereitet. Schade, daß sie sich dem geistigen Niveau ihrer Mithäftlinge nach und nach anpaßte. So manche ihrer Texte aus dem Gefängnis sind nichts anderes als verstümmeltes Deutsch. Das war nicht mehr die Ulrike, die ich vorher gekannt hatte.

Der vermeintliche Selbstmord oder Mord nach Mogadishu?

Ich halte alles für möglich.

Der zweite Band Ihrer Fall-Sammlung erscheint im März 1999. Worum geht es?

Astrid Proll, Karl-Heinz Roth, Buback und die Mescalero-Affaire, Bolko Hoffmann, Herausgeber des „Effektenspiegels“, der die Großbanken als Mafia bezeichnete, einen Oberstleutnant, der des Landesverrats bezichtigt wurde, einen Lauschangriff auf eine Bremer WG aber auch einen auf meine eigene Kanzlei sowie den Thälmann-Mord-Prozeß und den Hans-Modrow-Prozeß. Viel Abwechslung.

Wie kam es eigentlich zum seltsamen Berufswunsch des Försters.

Der Wunsch der jungen Kriegsgeneration nach einem Leben jenseits des politischen Irrsinns – und genau das Gegenteil ist aus meinem Leben geworden.

Hier in Worpswede sind sie ja zu Ihrem Urideal zurückgekehrt. Warum?

Es ist schön hier.

Bekomme ich von Ihnen einen ökologisch erbrüteten Apfel?

Leider nicht. Mein Apfelbaum hat nur einen einzigen Apfel getragen. Ansonsten finden Sie auf unseren 5000 qm nur Blumen und Bäume, nichts für den Magen.

Fragen: Barbara Kern

„Die Republik vor Gericht – 1954-74, Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts“; Aufbau Verlag, Berlin; 49,90 Mark; der zweite Band soll im März 1999 erscheinen