Im Tieflug durchs Watt – per Schiff

■ Hochgeschwindigkeits-Katamarane sind für ihre Passagiere der Kick in der Nordsee. Mit ihren 70 km/h machen sie Jagd auf Ems-Segler. Der BUND fordert eine Umweltverträglichkeitsprüfung

Den Horizont verschließt eine blau-schwarze Wolkenwand. Die Wellen der Ems werden vom Wind über den Fluß gepeitscht. Vier Männer und ein Kind mummeln sich auf dem Segelboot in ihr Regenzeug. Das Boot kreuzt in der Ems bei Emden mit Kurs auf das holländische Delfsijl. Zuerst hört die Crew nur ein dünnes Brummen. Dann löst sich eine silbrige Gischtwelle aus dem dunklen Hintergrund. „Ist der bescheuert?“, Skipper Hero Michaelsen blinzelt durch den Nieselregen. Der Katamaran „Nordlicht“ der AG Ems, speit seine Bugwelle wie Funken. Er verläßt das Emsfahrwasser und pflügt direkt in den Kurs des Segelbootes. Michaelsen entgeht einem Zusammenstoß durch Flucht. Vier Stinkefinger und ein halber schicken dem Katamaran „Grüße“ hinterher.

„Es hat noch nie Unfälle wegen des Katamaranes gegeben“, sagt Peter Eesmann, bei der Reederei AG Ems zuständig für die „Nordlicht“. Skipper Michaelsen wird keine Anzeige erstatten: „Nützt doch nichts.“

Katamarane sind der Kick in der Nordsee. „Wir müssen unseren Gästen etwas bieten“, sagt Katamaran-Chef Eesmann. Die „Nordlicht“ düst seit acht Jahren über die Nordsee. Werbetext: „Nur Fliegen ist schöner.“ Insgesamt fahren fünf Hochgeschwindigkeitsboote von drei Reedereien an der deutschen Nordseeküste. Zur nächsten Saison wird ein neuer Jet in Betrieb genommen, der mit fast 13.000 PS doppelt so stark ist und mit 400 Passagieren fast doppelt soviel Gäste transportieren wird wie die Nordlicht. Neben dem Transfer nach Borkum sammeln die Katamarane Gäste von den ostfriesischen Inseln und der Küste und bringen sie für einen Tagestrip nach Helgoland. Auf der Ems (ab Papenburg) und auf der Elbe befinden sich ebenfalls „Haltestellen“. Mit ihrer für Wasserfahrzeuge ungewöhnlichen Geschwindigkeit bis zu 70 km/h verkürzen Katamarane die Fahrzeit etwa vom Emden nach Borkum von zweieinhalb Stunden auf 55 Minuten. Vor acht Jahren hatte es zum Einsatz der „Nordlicht“ scharfe Proteste der Umweltverbände gegeben. „Das war eben so eine üblicheTechnikkritik. Heute haben die Menschen die Katamarane voll akzeptiert“, stellt Peter Eesmann fest. Der Mann irrt. BUND und WWF nehmen jetzt den geplanten Einsatz des neuen Katamarans zum Anlaß, eine Umweltverträglichkeitsprüfung für Katamarane zu fordern. Ziel: Generelles Fahrverbot für Katamarane im Wattenmeer. Die entsprechenden Anträge sind bereits gestellt. „Davon wissen wir nichts“, meint Lothar Graf, Sprecher des zukünftigen Katamaran-Eigners AG Norden-Frisia.

Der BUND sieht in den Hochgeschwingkeitsbooten eine „schwerwiegende Beeinträchtigung“ des Nationalparkes Wattenmeer. Um die hohen Geschwindigkeiten zu erreichen, saugen die Katamarane Wasser vorne in Turbinen und stoßen es hinten mit gewaltiger Kraft wieder aus. „Dabei“, so BUND-Mann Uilke van der Meer, werden alle Organismen, ob Plankton, Fischbrut oder kleine Fische gekillt.“ Durch den dadurch entstehenden hohen Eiweißgehalt, der anschließend im Wasser abgebaut werden muß, werden große Mengen von Sauerstoff verbraucht. „Und das in der Ems, die ohnehin im Sommer immer kurz vor dem Umkippen steht“, sagt van der Meer.

Zwar hat der Chef der AG Norden-Frisia, Karl-Ulfert Stegmann, erklärt, der neue Katamaran würde nicht im Nationalpark eingesetzt. Doch Uilke van der Meer: „Der neue Kat befährt die ostfriesischen Inseln, da ist Nationalpark.“ Eigentlich soll der neue Nordseejet laut Reederei im nächsten Jahr auf der Tour nach Helgoland eingesetzt werden. „Wir sind nicht für immer auf bestimmte Routen festgelegt“, erklärt Lothar Graf von der Reederei Norden Frisia. Helgoland ist Nutznießer der Raketenboote. Im nächsten Jahr wird es auch von dem neuen Katamaran „angeflogen.“ Diese Boote landen direkt im Helgoländer Südhafen an. Passagiere der normalen Fähren müssen weiterhin auf See ausgebootet werden und von den sogenannten Börteschiffen auf die Insel gebracht werden. „Natürlich haben wir durch die Katamarane Verdiensteinbußen bei den subventionierten Börteschiffen“, meint Helgolands Bürgermeister Franz-Josef Baumann. Aber er hofft, diese Verlußte durch einen gesteigerten Tagestourismus wettmachen zu können. „Wir haben durchschnittlich 500.000 Tagestouristen pro Jahr. 1998 werden es leider zehn Prozent weniger sein. Da hängen dann die Brotkörbe für uns hoch“, sagt der Bürgermeister. Obwohl Helgoland durch zahlreiche Investitionen den Dauertourismus stärken will (neues Gesundheitshotel mit 160 Betten, neues Dünendorf mit 60 bis 80 Bungalows ab 2000), sieht Baumann noch reichlich Möglichkeiten, auch den Tagestourismus auszubauen.

Genau hier setzt wieder die Kritik der Naturschutzverbände an. Uilke van der Meer, Leiter des BUND–Nordseehauses in Dornumersiel: „Katamarane sind ausschließlich was für das Tages-Jetset. Sie widersprechen allen Anstrengungen für einem sanften Tourismus. Statt vorhandene Urlaubs-möglichkeiten qualitativ zu ergänzen sucht der Fremdenverkehr immer neue Wege, in immer kürzeren Zeitabständen, immer mehr Menschen auf die Inseln zu karren. Das halten die Küste, das Wattenmeer und die Inseln, ökologisch gesehen, nicht aus.“ Thomas Schumacher