„Dazu kann ich jetzt nichts sagen“

■ Eine kurze Einführung in den Lokaljournalismus / 11. Lektion: PressesprecherInnen

Auch das schönste und ausschweifendste Lotterleben des Lokaljournalisten kennt seine Schattenseiten. Dieses Lotterleben wird insbesondere dann schattig, wenn man nicht umsonst ins Theater und Restaurant gehen oder gratis an einer Karibikkreuzfahrt oder einer Schiffsüberführung durch den Nord-Ostsee-Kanal teilnehmen kann. Diese schattigen, saudunklen, tiefschwarzen Momente fangen dann an, wenn die Arbeit beginnt. Ja, auch LokaljournalistInnen müssen arbeiten, auch wenn es sich dabei nur um wenige Minuten am Tag handelt. Aber die haben es dafür in sich.

Meistens fangen diese Minuten schon am Vormittag mit einem Telefonanruf gleich nach Ankunft am Arbeitsplatz an. Mürrisch wie immer melden Sie sich: „Die Lokalzeitung, Schultze.“ Und Sie hören: „Gu-hu-ten mo-hor-gen, mein Name ist Ja-ha-nin van Dü-hü-ssel von der Agentur hä-hä-ppi eventures. Wir eröffnen am 3. De-hezember eine ganz wu-hundervolle Ausstellung. Schi-hicken Sie jemanden hi-hin?“ Den Hörer inzwischen rund 50 Zentimeter vom Ohr entfernt, schü-hütteln Sie den Kopf und sagen: „Am 3. Dezember?“ „Ja-ha, am 3. De-hezember“, sagt Frau van Düssel. Und Sie sagen: „Das ist doch erst in zwei Monaten!?“ „So-holl ich spä-häter noch mal anru-hufen?“ „Ja, später“, antworten Sie und beenden das Gespräch. Und Sie ärgern sich schon wenige Sekunden danach schwarz, weil Sie vergessen haben, „frühestens Ende November!“ zu sagen, und wissen, daß spätestens übermorgen mit einem erneuten Anruf zu rechnen ist.

Wegen dieser Aussicht, finden Sie, haben Sie genug getan für diesen Vormittag und gönnen sich einen zweistündigen Spaziergang. Früher, so denken Sie dabei, hat es das noch nicht gegeben. AusstellungsmacherInnen, Parteien, Unternehmen, Organisationen, Ministerien und Verbände zeigten ihre Veranstaltungen auf dem Postweg an. Leicht fiel die Entscheidung darüber, was wichtig und berichtenswert – will sagen – bequem zu erreichen und mit geringstmöglichem Aufwand in der Zeitung zu plazieren ist. Heute aber finden Sie die Einladung X und die Pressemitteilung Y nicht nur in der Post, im Pressefach, im Faxgerät und sogar im Privatbriefkasten zu Hause. Nein, Sie werden auch angerufen von Presse- und PR-ReferentInnen – der (FotografInnen aufgemerkt!) nach den MitarbeiterInnen von Call-Centern am schnellsten wachsenden Berufsgruppe.

Sie sind überall. Selbst der Tanzclub Klein Bramstedt hat inzwischen einen Pressesprecher. Das Amateur-Blockflöten-Ensemble Kattenescher Hohes C und die Initiative zur Verhinderung von Wohnbebauung in alten Hafenrevieren beschäftigen eine PR-Agentur. Nirgendwo ist man mehr sicher vor diesen freundlichen Stimmen, die enorm wichtige, wu-hunderbare oder sensationelle Events, Protestveranstaltungen oder Tips zur Gesundheitsvorsorge anpreisen. Und das wichtigste ist: Erst gewöhnt man sich dran, und dann kann man ohne sie nicht mehr leben.

Etwas komplizierter verhält es sich mit den PressesprecherInnen öffentlicher Verwaltungen. Denn anders als die oben beschriebenen PR-ReferentInnen rufen sie nicht von selbst an. Wenn Sie im Verlauf Ihres harten Arbeitstages „mal eben etwas nachrecherchieren müssen“ (zum Beispiel eine mutmaßliche Skandalgeschichte einer freien MitarbeiterIn), haben Sie mit dieser Sorte PressesprecherInnen zu tun. Und unter ihnen gibt es viele, die tatsächlich PresseschweigerInnen sind.

Eigentlich dazu verpflichtet, die Öffentlichkeit – also Sie – über alles aufzuklären, was von öffentlichem – also Ihrem – Interesse ist, lautet ihr Lieblingssatz „Dazu kann ich jetzt nichts sagen“. Auch die Formulierung „Ich kümmere mich drum und melde mich dann“ ist schon oft gebraucht worden. Doch auf den Rückruf warten Sie dann meist vergeblich. PressesprecherInnen alias PresseschweigerInnen kennen sich nicht aus. Oder sie verhüllen geschickt ihre in unzähligen Geheimsitzungen erworbenen Geheimkenntnisse. Meist antworten sie einsilbig und beginnen schon bei der ersten Nachfrage das „Dazu kann ich jetzt nichts sagen, aber ich kümmere mich drum“-Spiel. Das zieht sich oft einen ganzen Tag lang hin, und das sind Tage, an denen Sie Ihre Berufswahl verfluchen.

Aber es gibt auch echte PressesprecherInnen unter den vielen sogenannten PressesprecherInnen. Sie verkünden pflichtgemäß das nötigste, was ihr Chef oder ihre Chefin zu verkünden hat, und unterscheiden sich in dieser Tätigkeit nicht von PR-ReferentInnen. Doch über ihren Bereich hinaus sind sie auch aktiv: Sie informieren über alles, was ihnen nützt, und intrigieren gegen jeden, der ihnen auf dem Weg nach oben schaden könnte. Denn insgeheim wollen sie MinisterIn oder (in kleinen Bundesländern: SenatorIn) werden. Aber bis es so weit ist, sind sie sehr mitteilsam – besonders abends in der Kneipe. Zehn halbe Bier, und die Zunge sitzt locker. Noch zwei dazu, und Sie haben Ihre Story. Leider setzt diese Arbeit Ihnen auf Dauer ziemlich zu. Immer öfter vergessen Sie, was Sie noch beim Einschlafen leicht lallend, aber druckreif formuliert haben. Aber immerhin wissen Sie spätestens jetzt, warum die Tätigkeit als LokaljournalistIn ihre Schattenseiten hat. ck

Die nächste Folge folgt bestimmt!