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■ VorschlagHimmelsflug: Die New Yorker Trisha Brown Company im Hebbel-Theater

Aus einem barocken Deckengemälde muß sich dieser Engel davongestohlen haben, der zum Prolog von Claudio Monteverdis „L'Orfeo“ über die Bühne des Hebbel-Theaters fliegt. Er schlägt Purzelbäume in der Luft. Sein Steigen und Fallen, Gleiten und Wirbeln wie sonst nur im Traum nimmt später Eurydice auf, die von den Händen der Company wie von Wellen und Wolken getragen wird. Deren Körper bleiben im Schatten und sinken nach jeder Berührung mit diesem den Elementen anvertrauten Körper zurück in den Boden, wo sie sich winden wie die Schlangen. Auch wer die Oper nicht kennt, spürt die Kraft dieses Fortgerissenwerdens als Bild der Reise in die Unterwelt. Selten nur erreicht Tanz eine so magische und von Symbolismen freie Erzählweise wie in Trisha Browns halbstündiger Fassung von Monteverdis Oper.

Diese Verzauberung ist am Anfang des Programms, mit dem die Trisha Brown Company aus New York während der Festwochen im Hebbel-Theater gastiert, nicht abzusehen. Denn die ersten beiden, jeweils halbstündigen Stücke zu Musik von Johann Sebastian Bach und Anton Webern entwickeln abstrakte Strukturen und dynamische Muster, die man wie eine komplizierte Rechnung zwar bewundern, aber kaum verstehen kann. Vor allem zur Cembalo-Musik von Bachs „Musikalischem Opfer“ bewegen sich die acht Tänzer mit einer barocken Zierlichkeit und gebremsten Energie, als ob sie fürchteten, etwas falsch zu machen.

Die Choreographie ist zwar anspruchsvoll in der Herausforderung ungewohnter Koordinationen und löst den Körper in bewegte Elemente mit Schräglagen und abgewinkelten Gliedern auf, die manchmal fast wie an Fäden gezogen auf- und zuklappen, pendeln und schwingen. Nicht auf die Kontur des einzelnen, sondern auf die Verkantung und Verflechtung der Gruppe zu einem flexiblem Netzwerk scheint es anzukommen. Doch diese höhere Mathematik läßt einen unten im Parkett schnell kalt.

„Canto/Pianto“ dagegen nimmt einen vom ersten Augenblick an mit auf die Reise. Für Trisha Brown, die als eine exakte Analytikerin der Bewegung das Wissen um die tänzerischen Möglichkeiten unendlich bereichert hat, ist die Rückkehr zur Erzählung mit Rollen neu. Seit sie 1989 für die Regisseurin Lina Wertmüller eine Carmen entwickelt hatte, beschäftigte sie die Form der Oper. Von einer Illustration des Libretto ist sie dabei weit entfernt geblieben und übersetzt statt dessen die emotionale Dynamik in ein Spiel von irdischer Schwere und himmlischer Leichtigkeit, das für den drögen Anfang entschädigt. Katrin Bettina Müller

Hebbel-Theater, 19.9. und 20.9., jeweils 20 Uhr

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