Die Hausapotheke im Trinkwasserwasser

Nicht alle organischen Stoffe, die ins Abwasser gelangen, können herausgefiltert werden. Über Umwege gelangen sie in den Trinkwasserkreislauf. Dort kann die Gefahr einer Konzentration von naturfremden Substanzen nicht ausgeschlossen werden  ■ Von Kirsten Küppers

Auf der Expo 2000 präsentiert sich Berlin als Vorzeigestadt in Sachen Wasser und Umwelt. Doch nicht alles, was feucht glänzt, ist gleich goldenes Trinkwasser, wenn das Projekt „nachhaltige Wasserwirtschaft“ die Wasserkreisläufe der Stadt als Modell für andere Regionen vorstellt. Wer sein Wasserglas hebt, mag zwar nicht an Schmutzwasser denken, aber lupenreines Quellwasser fließt auch in Berlin nicht immer aus der Leitung.

Daß das Wasser aus den Kläranlagen nicht frei von organischen Reststoffen ist, treibt denn auch Wissenschaftler an der Technischen Universität Berlin (TU) um. Am Beispiel der Kläranlage Ruhleben fand Jörg Drewes vom Institut für Technischen Umweltschutz heraus, daß bestimmte organische Stoffe, nämlich Jodverbindungen, nicht aus dem Abwasser entfernt werden können. Sie werden in Krankenhäusern beim Röntgen verabreicht und gelangen praktisch unverändert durch Körperausscheidungen des Patienten ins Abwasser. Die Jodverbindungen gelten jedoch nicht als gesundheitsgefährdend.

„Substanzen, die in der Natur nicht vorkommen, haben im Abwasser nichts zu suchen“, erklärt dennoch Silke Karcher, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Wasserreinhaltung der TU. „Selbst wenn sie nicht schädlich sind, ist das eine Veränderung der Natur“, seufzt sie. Die Stoffe seien durch die Selbstreinigung des Wasserkreislaufs und mit technischen Verfahren kaum entfernbar.

Es gebe „keinen Anlaß zur Besorgnis“, äußert sich dagegen Hartmut Ebrecht von den Berliner Wasserbetrieben, selbst wenn „erstaunliche Belastungen“ an Röntgenkontrastmitteln gefunden worden seien. Auch die Herstellerfirma Schering bleibt gelassen. Von ihren Kontrastmitteln gehe „keine erkennbare Gefahr für die Umwelt aus“.

Gehen den Berlinern vor allem „harmlose“ Röntgenkontrastmittel ins Netz, tauchen Forschern beim Fischen im Abwasser in England ganz andere Dinge auf. Aus Fischmann wird Fischfrau, fisch muß nur unweit der Kläranlage schwimmen. Chemikalien aus Antibabypillen und Putzmitteln im Abwasser machen's möglich.

Vor Jahren fanden Forscher in England bei Fischmännchen, die unterhalb einer Kläranlage ausgesetzt wurden, Anzeichen für weibliches Verhalten. Die Fische hatten Eidotterprotein im Blut, das sonst nur Weibchen produzieren. Mit einem Test können Wissenschaftler am Umweltforschungszentrum Leipzig-Halle (UFZ) jetzt Umweltchemikalien, die wie weibliche Hormone wirken, nachweisen. Diese können aus der Antibabypille, Pflanzenschutzmitteln oder Plastikweichmachern stammen. Bilden Leberzellen, die Fischen entnommen wurden, das Dotterprotein aus, wenn sie der Probe ausgesetzt werden, ist ein hormoneller Wirkstoff enthalten. Die Forscher in Leipzig untersuchen nun, ob es „nachteilig“ ist, wenn der Fischmann ein wenig verweiblicht. Werde der Fischmann gar impotent und verschiebe sich das Geschlechterverhältnis in den Fischschwärmen, seien das Alarmzeichen, findet Helmut Segner vom UFZ.

Auch in Berlin weiß man inzwischen von Weiblichkeitserscheinungen bei Fischen. Dazu kommt, daß auch wenn die Jodverbindungen in den bisher gefundenen Mengen als unbedenklich gelten, die Gefahr einer Konzentration dieser Stoffe besteht, wenn im Wasserkreislauf aus Abwasser immer neues Grundwasser und damit Trinkwasser entsteht, das wieder als Abwasser endet.

In Berlin gibt es diese Wasserkreisläufe. So leitet etwa das Klärwerk Schönerlinde sein gereinigtes Wasser in die Panke und in den Nordgraben. Ein Teil davon fließt in den Tegeler See. Verdünnt gelangt das Wasser über Bodenpassagen, Versickerung oder Verdunstung und Regen ins Grundwasser. Aus Brunnen in der Nähe des Sees wird das Wasser zur Trinkwassergewinnung gepumpt.

Gereinigtes Abwasser aus der Kläranlage über Landflächen versickern zu lassen, ist eine gängige Methode in Trockengebieten, um den Grundwasserspiegel anzuheben, das Abwasser nachträglich zu reinigen und wiederzuverwenden. Selbst wenn Berlin nicht in Namibia oder in Kalifornien liegt, wird diese sogenannte „Grundwasseranreicherung“ zum Beispiel am Müggelsee praktiziert, nicht zuletzt, um den Wasserhaushalt langfristig zu stützen.

Angesichts des Überangebots an Wasser in Berlin sei es „Quatsch“, aus Abwasser Trinkwasser machen zu wollen, empört sich indes Stephan Natz, Sprecher der Berliner Wasserbetriebe. Schließlich „sitzen wir hier auf einer riesengroßen Wasserblase“. Der Wasserverbrauch sei seit der Wende um rund ein Drittel zurückgegangen. Es wäre „sinnlos und unbezahlbar, zusätzlich zum guten und reichlich vorhandenen Berliner Wasser“, Abwasser zum Trinken aufzubereiten, meint er streng.