Nachtleben-Regeln völlig außer Kraft gesetzt

■ Das alljährliche Spektakel „Clubs United“ ist wie Interrail mit ein paar Spritzern Love Parade

Das Berliner Nachtleben findet das ganze Jahr über weitgehend unter Ausschluß der Teenager statt. Zur Love Parade fällt die Jugend der Welt zwar ein, aber nach der Abschlußkundgebug kriechen die meisten in ihre Schlafsäcke, und die anderen gehen zu Großveranstaltungen in extra angemieteten Hallen. Den Rest des Jahres landen die Sechzehnjährigen, die auf Klassenfahrt in die Stadt kommen – wie vor zwanzig Jahren – vor allem in Ku'damm-Diskos, wenn sie sich nicht irgendwo in Kreuzberg verlaufen, weil sie sich nicht trauen, den Stadtplan herauszuholen. Und die eingeborenen Teenager treiben sich an allen möglichen Orten herum, nur in Clubs werden sie selten gesichtet.

Einmal im Jahr ist das anders. Einmal im Jahr kostet das Ausgehen nicht soviel wie sonst, weil man mit einer Karte überall hineinkommt. Und nicht nur das: Man kommt an diesem Wochenende überall hinein, denn niemand braucht Angst vor dem Türsteher zu haben. Außerdem fährt die BVG mit Extrabussen Touren von Club zu Club. Einmal im Jahr bleiben alle, die sonst ausgehen, zu Hause, und die Piste wird für alle diejenigen freigegeben, die sonst zu Hause bleiben. Einmal im Jahr ist Clubs United. Und wie sollte es anders sein, wer 10.000 Generalschlüssel zum Berliner Nachtleben über die Theke gehen läßt, verändert ebenjenes Nachtleben erheblich.

Alle Regeln, die das Nachtleben sonst bestimmen, sind an diesem Tag außer Kraft gesetzt. Musikgeschmack und eingespielte Nightlife-Codes greifen nicht, weil all diejenigen, die Regeln beherrschen, zu Hause geblieben sind. Und die, die unterwegs sind, werden auch nicht glücklich. Wer Rock hören will, landet aus Versehen im Icon und somit bei Drum 'n'Bass. Cross-over-Kids verirren sich ins Sage zu House-Musik, und Gymnasiasten werden im Planet Hollywood bei den SoulFunk und Dance-Classics auflaufen. Wer Glamour und gutaussehende Leute sucht, findet sich im Kreuzberger Arcanoa bei einem „Mittelalter-Special“ wieder.

Nichts paßt zusammen, keiner fühlt sich wohl. Und weil alle Beteiligten sich den Clubs ohnehin mit einer gewissen Verunsicherung nähern und außerdem, wenn sie schon mal nachts um die Häuser ziehen, auch möglichst viel sehen wollen, sind alle permanent unterwegs. Ein weiterer Grund, warum sich ein rechtes Clubgefühl nicht einstellt; alle wollen ständig weiter. Also: auf den Bus warten, sich hineinquetschen, aussteigen, mal in einen Laden gucken, es zu voll oder zu blöd finden, sich rausdrängeln, wieder auf den Bus warten, sich wieder reinquetschen und so weiter und so fort. Das ist wie Interrail, angemacht mit einem Spritzer Love Parade.

Doch wohin soll's gehen? Vor noch nicht allzu langer Zeit – allerdings lange genug, daß die Clubs- United-Zielgruppe sich nicht mehr erinnern kann – war Kreuzberg mit dem Ruf als ultimatives Ausgehviertel gesegnet. Doch nicht nur die besserverdienenden Familien verlassen den Bezirk in Richtung Prenzlauer Berg oder Umland. Auch das Nachtleben verlagert sich. Deshalb rufen die Clubs-United-Veranstalter jetzt auf zur Rettung der vom „Aussterben bedrohten Dance-Region“.

Doch damit steht Kreuzberg immer noch besser da als das restliche Westberlin, denn Schöneberg und Charlottenburg scheinen vom Nachtleben bereits so sehr verlassen zu sein, daß sie anscheinend nicht mal mehr durch eine Club- Vereinigung zu retten sind. Das Leben tobt, wo sollte es auch sonst sein, in den Bezirken Mitte und Prenzlauer Berg. Tobias Rapp

Vier Busrouten gibt es, der Alexanderplatz ist Schnittpunkt der Buslinien. Wer warten muß, bekommt Sponsorenbier. Die Clubs finden sich dann von ganz allein, immer der Masse nach!