Avantgarde statt Folklore

Raus aus der Multikulti-Ecke – aber wohin? Das Haus der Kulturen orientiert sich neu. Doch auf der Suche nach neuem Publikum drohen die Stammgäste auszugehen  ■ Von Peter Nowak

Viel ist von der einstigen Westberliner Multikulti-Meile am Rande des Tiergartens nicht übriggeblieben. Die bei den türkischen Familien in Berlin so begehrten Picknickwiesen sind größtenteils Baustelle für den Regierungssitz. Wenn das Tempodrom demnächst räumen muß, werden dort die letzten exotischen Klänge verstummen. Und auch über den künftigen Kurs des in der Kongreßhalle beheimateten Hauses der Kulturen der Welt wird derzeit debattiert.

Unter seiner neuen Leitung habe das HdKdW Abschied von der ursprünglichen Idee eines multikulturellen Kulturzentrums genommen, lautet ein Vorwurf, der jüngst in einem Arte-Beitrag des Filmemachers Rainer Meißle erhoben wurde. Gerade Berliner Migranten, so der Tenor, würden durch ein Konzept, das ausschließlich auf elitäre Repräsentationskultur aus den modernen Metropolen der „Dritten Welt“ setzt, nicht mehr angesprochen – sie blieben außen vor. „Das HdKdW muß aus der Multikulti-Ecke raus“, verteidigen dagegen der Generalsekretär des Hauses, Hans-Georg Knopp, und Johannes Odenthal, der Bereichsleiter für Musik, Tanz und Theater, ihre neu formulierte Leitlinie. Anstatt die Kultur der Länder der „Dritten Welt“ als exotisches Untersuchungsobjekt zu bestaunen und zu klassifizieren, müsse sie gleichberechtigt mit der europäischen Kultur präsentiert und beurteilt werden. Folglich solle der Schwerpunkt künftiger Ausstellungen weniger auf ländlicher Folklore als auf urbaner Avantgarde liegen.

Klingt gut. Doch ist das HdKdW schon in der Vergangenheit nicht unbedingt durch besondere Vorliebe für folkloristischen Firlefanz oder multikulturelle Kleinkunst aufgefallen. Dafür aber durch eine größere Publikumsnähe, als sie derzeit herrscht. Denn aus dem Programm des HdKdW gestrichen wurden just populäre Veranstaltungsreihen wie das Mittwochskino, die Weltmusik- Konzerte im „Café Global“ und der Jour fixe, der früher an jedem langen Samstag stattfand. Statt dessen setzt die Leitung des Hauses lieber auf intellektuelle Debattierzirkel und Tischgespräche im intimen Kreis, wo auf hohem Niveau, aber mit ausgesuchter, also geringer Beteiligung über die Zukunft der europäischen Kultur im Zeitalter der Globalisierung nachgedacht wird.

Das mag seinen intellektuellen Reiz haben. Doch große Besuchermassen lenkt man damit nicht in die verwaisenden Säle der Kongreßhalle. Skeptiker fürchten daher, das Haus arbeite mit seiner neuen, elitären Linie letztlich seiner eigenen Abschaffung entgegen. Ein weltfernes Wolkenkuckucksheim läßt sich schließlich vom Senat oder der Bundesregierung, die bald der Nachbar sein wird, leichter aufs Abstellgleis schieben als eine pulsierende, breit akzeptierte und im städtischen Leben fest verankerte Institution, wie sie das Haus der Kulturen der Welt derzeit noch darstellt.

Insbesondere in der Berliner Musikszene, die nun auf einen beliebten Auftrittsort lokaler Bands verzichten muß, stößt die neue Hausordnung auf Unmut. Richtiggehend in ihrer Existenz gefährdet durch die neue Linie fühlen sich dagegen die Betreiber des Restaurants in der Kongreßhalle. Weil der Besucherstrom, der früher durch publikumswirksame Veranstaltungen garantiert war, wegen der Programmkürzungen zuletzt weit hinter den Erwartungen zurückblieb, bleibt dort der Umsatz aus. „Es kann gut sein, daß wir mittelfristig in Konkurs gehen“, fürchtet Geschäftsführer Philip Seimer.

Daß weniger Besucher als im Vorjahr den Weg in die Kongreßhalle gefunden haben, ist HdKdW- Chef Knopp bewußt. Für das nächste Jahr sei aber unter anderem wieder eine neue, regelmäßige Musikreihe im Haus geplant, vorläufiger Arbeitstitel: „Backroom“. Allerdings, betont er, mache der knappe Etat eine Konzentration auf programmatische Schwerpunkte nötig. Womit er auf das Grundproblem des Hauses verweist: „Wir sind unterfinanziert.“