Thrill und Aura inklusive

Verbindung von Kinorausch, Splattermovies und Performance: Die Kinoreihe „Cinema-Project“ und die Ausstellung „Das Tarantino-Syndrom“ im Bethanien  ■ Von Harald Fricke

Der Raum ist dunkel, die Stuhlreihen sind noch fast leer. Aber das Liebespaar auf der Leinwand ist schon unentwegt am Knutschen. Es liegt an den Filmvorführern, die mit Andy Warhols „Kiss“ den Projektor scharfgestellt haben. Später, zur Eröffnung des „Cinema Project“ im Künstlerhaus Bethanien, erklärt der Filmemacher Wilhelm Hein, daß die Vorführung von „Kiss“ gar nicht geplant war. Eigentlich sollte man als Vorgeschmack auf das parallel zur Ausstellung geplante Programm nur Mario Montez in „Banana“ zu sehen bekommen, wie er an einer Banane kaut. Was dann viele an Clinton erinnert hat, weshalb auch häufig gekichert wurde.

Überhaupt ist das Kino, das von dem Künstlerduo Winter & Hörbelt im Garten des Bethanien eingerichtet wurde, seltsam gläsern. Oder besser gesagt: getränkemarktartig. Wie schon beim Skulpturenpark letztes Jahr in Münster besteht ihre Installation aus lauter Sprudelkästen, aus denen das „Lichtspielhaus“ zusammengebaut ist. Das sieht zwar sehr schön aus, bringt aber bei schlechtem Wetter für die Besucher einige Probleme mit sich, weshalb für die nächsten fünf Wochenenden, an denen dort Filme gezeigt werden, auch Wolldecken bereitliegen.

Der Warhol-Beitrag zur Eröffnung war indes exemplarisch. Die Verbindung zwischen den Trash- und Experimentalfilmen, die der Regisseur und HdK-Professor Heinz Emigholz mit Wilhelm Hein ausgewählt hat, liegt von der Kunst aus betrachtet im Bereich der Performance. Zunächst geht es dabei um ein Paradox: Damit die auf den Moment angelegte Aktion nicht verschwindet, muß sie in Bildern festgehalten werden. Nur zeichnet nun eben nicht mehr der Künstler, sondern die Apparatur. Diese Situation dokumentierte 1951 schon Hans Namuth am Beispiel des Action-Painters Jackson Pollock; aber auch die Wirkung der Scheiß- Aktionen von Otto Mühl im Wien der sechziger Jahre ist extrem davon abhängig, wie zielstrebig der kürzlich verstorbene Kurt Kren während der Performance mit der Kamera arbeitete. Daß man von den Wiener Körperbefreiungsphantasien wiederum ziemlich rasch zu Tobe Hoopers Bestrafungssplatter in „Texas Chainsaw Massacre“ oder zu Nick Zedds Undergroundfickfilmchen kommt, wirkt zwangsläufig ironisch.

Ein Mühl-Anhänger und überzeugter Kommunarde wie Theo Altenburg hätte die Verbindung sicher viel mehr in Richtung Love Parade und Technoclip aufgezeigt. So aber liest sich das Programm eher als ein langsames Fremdwerden von Körpererfahrung, wie es Heinz Emigholz in einem Interview über seinen eigenen Film „Der zynische Körper“ einmal schwer melancholisch formuliert hat: „Das ist eine Performance über einen Text, der irgendwann einmal bei einem Gefühl seinen Ausgang genommen hat.“ Am Ende ist Kunst im Kino eine ziemlich widerborstige Angelegenheit, bei der die Bilder sich nur ungern der Handlung unterordnen.

Umgekehrt läuft die Aneignung von Film für die künstlerische Produktion häufig auf eine begeisterte Neuinszenierung hinaus. Die zwölf KünstlerInnen, die Heike Dander unter dem Titel „Das Tarantino- Syndrom“ für den Ausstellungsteil ausgewählt hat, benutzen Kino als Material. Im Gegensatz zur Filmreihe geht die Faszination hier vor allem von der Massenwirkung aus: Fiona Banner erzählt auf einer fünf Meter breiten Wandfläche die Geschichte von „Lawrence of Arabia“ als Fließtext nach, Susanne Weirichs „Trostspender“ zitiert für ihre Klanginstallation gleich aus sieben Actionfilmen der letzten zehn Jahre diejenigen Szenen, bei denen es darum geht, Körperflüssigkeiten in diversen unappetitlichen Lebenslagen zu beseitigen.

Auch die reduziert angelegte Ausstellung beginnt mit Warhol, dessen „Marilyn“ in einem halben Dutzend Siebdrucken mit dem Lächeln der Monroe spielt. 30 Jahre später erreicht Sam Taylor-Wood den gleichen Effekt, wenn sie ein Standfoto aus „Taxi Driver“ mit Harvey Keitel und Robert De Niro reproduziert. Jetzt sind es allerdings nicht mehr die Figuren, die stilisiert werden, sondern der Film selbst als Gesamtkunstwerk – Thrill und Aura inklusive. Bei Johannes Kahrs führt diese Art Reanimation unbewegter Bilder konsequent zurück zur Malerei, während auf dem Foto von Bridget Smith der Kinovorhang wie auf einem Edward-Hopper-Gemälde schillert.

Wie beim Sampling tauchen auch in den anderen Arbeiten plötzlich Filmzitate auf, die nun zu Ikonen oder Bewegungsabläufen umgearbeitet werden. Von Alfred Hitchcocks „Vertigo“ bleibt in Cindy Bernards Computergraphiken ein gepixelter Wald übrig, und Graham Gussin zerlegt auf zwei Monitoren Stanley Kubricks „2001 – A Space Odyssee“ in verwirrende Loops. Dabei interessiert die Story mitunter nur noch am Rande: Pierre Bismuths Video „Synopsis“ von 1997 besteht aus rasanten Kurzbeschreibungen diverser Filme am Telefon; für seine Installation „Post Script/The Passenger“ (1996) dagegen läßt sich der in London lebende französische Künstler minutiös den Inhalt diktieren, der dann als getippter Text an die Wand projiziert wird.

Nach zehn Minuten Textexegese löst sich auch hier die konkrete Filmhandlung in der Fleißarbeit auf. Für den ganzen Prozeß hat Bismuth eine sehr plausible Erklärung gefunden: „Es sind zwei verschiedene Dinge, ob man keine Bilder zeigt, weil du sie nicht brauchst, oder ob man sie nicht zeigt, um indirekt darüber reden zu können – selbst wenn das Ergebnis gleich ist.“

Ähnlich konsequent geht Dominique Gonzalez-Foerster vor. Weil ihr der Satz des japanischen Regisseurs Takeshi Kitano, daß ein perfekter Film den Zuschauer mit zehn Bilder zum Weinen bringen kann, so ausnehmend gut gefallen hat, zeigt sie tatsächlich, wie sich ihr „Fly me to the moon“ aus zehn Dias entwickelt. Das andere Extrem bildet Douglas Gordon ab, der zwei nacheinanderfolgende Großaufnahmen aus einem Abspann reproduziert hat. Auf beiden Close-Ups steht „The End“ unter dem Gesicht eines Mannes, doch zwischen der Mimik liegen bereits Welten.

Bis 18.10. im Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2. Filme von Do–So ab 20.30 Uhr