Die Erlösung eines Hallodri

■ Klaus Maria Brandauer, die Kammerphilharmonie und Co. präsentieren eine engagierte Fassung von Griegs „Peer Gynt“

Edvard Griegs „Peer Gynt“ zählt zu den Werken, dessen Melodien – zumindest ein Teil – einerseits Allgemeingut der Wunschkonzerte und als solche auch Ohrwürmer sind, andererseits ist seine Musik vollkommen unbekannt. Wer kennt nicht „Solveigs Lied“, die zuversichtliche Trauer der Frau, die ein Leben lang auf einen Taugenichts wartet, aber wer kennt schon das ganze Drama des haltlosen Sinnsuchers Peer, der „lügt“, wie seine Mutter Ase treffend seine Illusionen und Hochstapeleien bezeichnet. Trotzdem sagt sie am Ende: „Durch Dich war mein Leben ein einziges Lied“. Peer, der „stets trachtete“, daß er nur „er selbst“ werde, kann machen, was er will, die Solidarität der Frauen ist ihm sicher. Das Schlußwort hat die reine Solveig (zusammen mit dem Kirchenchor „O Morgenstern“): Der Hallodri Peer ist erlöst. Das geht richtig unter die Haut.

Edvard Grieg hat in den Jahren 1874 bis 1876 verschiedene Schauspielmusiken (op. 23) zu Henrik Ibsens „Peer Gynt“ geschrieben, die er später zu zwei Orchestersuiten (op. 46 und op. 55) zusammenfaßte. In dem selten aufgeführten kompletten Melodram hat die Zusammenarbeit zwischen dem Dirigenten Thomas Hengelbrock und dem Schauspieler Klaus Maria Brandauer wieder einmal – nach Robert Schumanns „Manfred“ im vergangenen Jahr – ein höchst taugliches Objekt gefunden. Die groß besetzte Deutsche Kammerphilharmonie Bremen bot unter der Leitung von Thomas Hengelbrock ein ungemein engagiertes Konzert: Das Orchester schaffte es, Griegs „Kitsch“-Potential allzu offenkundiger Stimmungsmalereien ins Positive zu kehren, dem Publikum einen genuinen Musikdramatiker zu präsentieren, der einen wild stürmischen Abend und den Tanz der Bergkönigstochter ebenso entstehen lassen kann wie eine Morgenstimmung am Meer und Arabische Tänze (weil sich Peer auch zeitweilig dort rumtreibt, um Kaiser von Marocco zu werden).

Klaus Maria Brandauer sorgte mit so einer Art „Regie“ dafür, daß die Szenen über ihr Imaginäres hinaus den Anflug einer Bühnenwirklichkeit hatten: Ase sackt auf ihrem konzertanten Stuhl zusammen und stirbt, zum „Stürmischen Abend“ werden die Innereien der Orgelempore mit Blitzen erleuchtet und vieles mehr.

Derartiger Schnickschnack überzeugte nur mäßig, wie wohl die Interpretation der Texte als spannend und gelungen bezeichnet werden kann – mit Ausnahme der nicht immer sorgfältigen Artikulation Brandauers als Peer. Dem „nordischen Faust“ gab er ansonsten ein anrührendes Image. Tobender Beifall für den Gaststar oder Stargast, aber auch für Ursula Fiedler, deren substanzreiche Pianotöne der Solveig fast eine außerirdische Aura gaben. Beifall aber auch für die SprecherInnen und die – wie gesagt begeisternde – Deutsche Kammerphilharmonie.

Ute Schalz-Laurenze

Das Konzert wird wegen der großen Kartennachfrage am Mittwoch, 23. September, um 20 Uhr in der Glocke wiederholt.