"Die Stadt schrumpft"

■ Wird Berlin die Hauptstadt der Kunst-Events oder bleibt es Spielwiese für flanierfreudige Minderheiten? Ein Gespräch über postmodernes Kulturmanagement und neue Clubstrategen mit Klaus Biesenbach, der die erste berli

Die neunziger Jahre haben jede Menge Diskurse und Kunstkontexte hervorgebracht – und dazu einen neuen Typ von Ausstellungsmacher. Bereits im Sommer 1992 organisierte der heute 30jährige Klaus Biesenbach „37 Räume“ in Berlin. Damals zeigte eine entsprechende Zahl von KünstlerInnen unter der Federführung ebenso vieler KuratorInnen ortsspezifische Installationen rund um die Auguststraße im Bezirk Mitte.

In der Kritik blieb das Echo zwiespältig: Kultur-Event oder Gentrifizierung? Als Leiter der Kunst-Werke hat Biesenbach seitdem Ausstellungen mit Robert Smithson oder Joseph Kosuth organisiert. 1995 brachte der ehemalige Medizinstudent einen Techno- Club nach Venedig, zwei Jahre später saß er dort in der Jury für die Auswahl der 97er-Biennale. Mittlerweile arbeitet Biesenbach in London oder Tokio und leitet das Künstlerprogramm des P.S.1-Center in New York. Die von ihm geplante berlin biennale wird insgesamt 60 junge KünstlerInnen im öffentlichen Raum zeigen. Anders als bei den sonst geläufigen Kunstveranstaltungen werden diesmal auch Film, Mode, Literatur und Musik in das Konzept eingebunden.

taz : Johannesburg, Taipeh, Guangzhou oder Luxemburg – die Welt ist voller internationaler Kunstausstellungen. Warum braucht Berlin eine Biennale?

Klaus Biesenbach: Die Entscheidung für eine Biennale in Guangzhou oder Taipeh ist von staatlicher Seite gefallen, weil man zeigen wollte, daß man ein zivilisiertes, kultiviertes und ökonomisch ausreichend versorgtes Land ist, das sich eine derartige Ausstellung leisten kann. Diese Ausstellungen hatten Signalcharakter, man versuchte damit, auf die kulturelle Landkarte zu kommen. Die Idee für eine Biennale in Berlin entstand dagegen auf Kuratoren- und Künstlerseite. 1995 hatte Jean Clair, der damals die Venedig- Biennale leitete, die Aperto-Show mit junger Kunst abgesagt. Daraufhin wurde ganz spontan der Techno-Club Berlin für Venedig auf die Beine gestellt, mit dem man eine pop- bzw. clubkulturelle Oberfläche schuf. Das war zwar für alle Beteiligten ein ziemlich stressiges Unternehmen, hat aber alles in allem gut funktioniert. Die berlin biennale ist auch ein Resultat dieser Erfahrung, insofern uns der Club Möglichkeiten aufgezeigt hat und ein ungeheures Interesse an Berlin offenlegte.

Nun spiegelt sich selbst das offizielle Berlin immer mehr in Club- Events wider. Warum muß für diesen Anspruch auf Jugendlichkeit auch noch die Kunst herhalten?

Ich glaube, daß die Biennale einen anderen Effekt hat. Wenn man die Situation etwa mit New York vergleicht, wo ich in den letzten zwei Jahren am P.S.1-Institut gearbeitet habe, stellt man fest, daß die Kunstszene dort extrem heterogen ist. Die verschiedenen Institutionen bringen es mit sich, daß es sehr starke innovative Kräfte und verschiedene Strukturen gibt. In Berlin hatte ich eigentlich damit gerechnet, daß sich ein ähnlicher Effekt einstellen und Aktivitäten parallel oder schon im Vorfeld zur Biennale ablaufen würden. Die Veranstaltung sollte in einem aufgelockerten Rahmen stattfinden. Leider passiert in der Stadt nicht viel in dieser Richtung.

Was vielleicht an dem starren Label und der strengen Bündelung einer Biennale liegt.

Dem sind wir ja durch unser Konzept bewußt entgegengetreten. Wir wollten offen sein. Bei unserer Ausstellung werden verschiedene Bereiche wie Mode, Theater, Kunst, Architektur, Film oder Literatur in einer interdisziplinären Ausstellung zusammengeführt. Vielleicht kann man dadurch für einen Moment den Kontakt zwischen Bereichen herstellen, die sonst nichts oder nur wenig miteinander zu tun haben. Man verständigt sich über etwas Übergreifendes.

Die Eröffnung der Biennale fällt mit der Berliner Kunstmesse art forum zusammen. Läuft man damit nicht Gefahr, bloß eine ausgelagerte Spielwiese für ein Publikum zu sein, das sich sonst am Markt orientiert?

Es ist nicht verkehrt, sich terminlich mit einem anderen Ereignis abzusprechen, weil man auf diese Weise ein viel größeres Publikum erreicht. Wir selbst veranstalten ja am ersten Oktoberwochenende auch noch den Congress 3000. Inhaltlich aber geht es uns um etwas ganz anderes als etwa bei einer Messe. Der Congress beispielsweise, der sich vorrangig mit Mode, Musik, Design und Architektur beschäftigt, dürfte für den normalen Messebesucher, der kaufbare Objekte, also Kunst in Warenform sucht, vorerst gar nicht so interessant sein. Auch die Biennale ist mit den verschiedenen eingeladenen Disziplinen und Aspekten nicht unbedingt mit einem besonderen Augenmerk für den konsumwilligen Kunstbetrachter angelegt. Im Hamburger Bahnhof wird mit „Sensations“ zugleich eine Ausstellung junger britischer Kunst gezeigt. Daraus aber den Rückschluß zu ziehen, daß bei unserer Sektion „Berlin/Berlin“ das Schwergewicht auf deutschen Positionen liegt, wäre verkehrt.

Ist denn die berlin biennale ein Gegenmodell zur nationalen Dominanz innerhalb der britischen Kultur, wie sie „Sensations“ verkörpert?

Die berlin biennale ist auf keinen Fall als Marketinggag für die neue Hauptstadt entworfen worden. Bei der ersten Recherche haben wir bereits festgestellt, daß die Stadt eher schrumpft als wächst und Leute, die hier arbeiten, oft nur für kurze Zeit bleiben, daß sie Berlin entsprechend nicht als ihren einzigen Wohnort betrachten, sondern es nur einer unter anderen ist. Das soll auch in der Biennale gezeigt werden: Berlin ist ein Ort, an dem man sich aufhält, weil er eine gewisse Spannung hat. Nur hält man diese Spannung, die positiven wie die negativen Seiten, eben oft nur begrenzte Zeit aus. Ich selbst bin ja jemand, der mit einem Bein woanders steht, einen Fuß aus dieser Stadt heraus hat, sonst wäre ich bei der Vorbereitung zur Biennale auch schon völlig untergegangen.

Der Spagat mag zwar die Unentschiedenheit zeigen, mit der Kultur auf die Hauptstadtfrage reagiert. Aber dadurch wird auch die Verantwortung für mögliche Fehlentwicklungen abgegeben. Wieso sollte sich jemand an einem Ort engagieren, der nur einen Zwischenstopp auf der Durchreise markiert?

Das Thema der berlin biennale ist natürlich die Auseinandersetzung mit der Stadt – ob es allerdings ausschließlich diese Stadt sein muß, bleibt in Frage gestellt. Alle Künstler, die eingeladen wurden, haben die eine oder andere Beziehung zu Berlin, die in ihrer Arbeit sichtbar wird. Ohne den örtlichen Bezug geht es nicht, nur muß man diesen Begriff von festen Orten auch auf den zeitbedingten Wandel hin erweitern, wie er sich überall auf der Welt abzeichnet. Deshalb ist die Biennale für uns eine „glokale“ Angelegenheit.

Für einen globalen Ansatz sind im Vergleich zur Manifesta in Luxemburg erstaunlich wenige Künstler aus dem Osten beteiligt.

Die Manifesta ist eine Ausstellung, die über ihre Definition als europäische Biennale eine andere politische Einbindung hat. Nationalität war bei uns kein Auswahlkriterium. Es gab keine Vorgaben, fünf Asiaten, drei Japaner oder wen auch immer dabeizuhaben. Irgendwann haben wir dann natürlich gemerkt, daß bei der Manifesta viel mehr Künstler als bei uns aus dem Osten kamen. Daraufhin haben wir noch einmal recherchiert, und es stellte sich heraus, daß hier in Berlin gar nicht so viele junge Künstler aus dem Osten arbeiten, wie immer behauptet wird. Unter anderem deshalb, weil junge Künstler ohne festes Einkommen nicht so einfach eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Die EG endet an der polnischen Grenze.

Muß man mit einer Ausstellung in Berlin nicht auf diesen Tatbestand reagieren?

Was heißt „auf den Tatbestand reagieren“?

Daß man dieses Problem benennt.

Ich glaube, man muß aufpassen, daß man die Ausstellung nicht als eine politische Setzung betrachtet oder sie dazu benutzt, politische Fragen zu konstruieren. Auch von Politikerseite wurde uns immer wieder gesagt, wir sollten mit der Biennale Berlin als Drehscheibe zwischen Ost und West aufzeigen. Es gab in den ersten Jahren nach der Wende ja tatsächlich einen großen Zulauf von junger Kunst aus dem Osten, aber mittlerweile sieht es halt ziemlich anders aus. Man darf nicht so tun, als würde eine solche weit verbreitete Projektion stimmen. Es ist einfach nicht so. Berlin hält sich immer noch gerne an vergangenen Mythen fest, so wie man das Hotel Adlon restauriert hat – aber dann bitteschön mit einem Stockwerk mehr bei gleicher Höhe.

Thematisch setzt die berlin biennale den Trend der letzten documenta fort. Gibt es noch andere Vorbilder?

Man arbeitet nicht ins Leere hinein, sondern im Flux. Wir wollten die Ausstellung möglichst variabel und offen für neue Diskussionsansätze halten. Deswegen stand das Programm selbst zwei Monate vor Beginn der Veranstaltung noch nicht fest. Insofern hat die berlin biennale auch nichts mit Kassel zu tun. Wir haben eine lokale Recherche unternommen und stellen die Ergebnisse jetzt öffentlich vor. Natürlich soll die Ausstellung auch eine überregionale Relevanz haben. Aber es geht vor allem darum, daß sich die Form erst in der Ausstellung – vom Publikumszuspruch bis zur Kritikerreaktion – findet. Die documenta X, eine Ausstellung, die ich sehr schätze, war eine assoziative Visualisierung der Thesen, die auch im Katalog „Politics/Poetics“ formuliert waren. Wir hingegen reagieren auf Vorhandenes, zeigen, was es gibt, und haben uns dabei sehr viel mehr an der Kunst und den Künstlern orientiert.

Während Catherine David von einer Jury als Leiterin für die documenta gewählt wurde, haben Sie die berlin biennale quasi im Alleingang gegründet und sich Kuratoren dazugeholt. Gab es nie Zweifel an der Verantwortlichkeit und Kompetenz bei einem solchen riesigen Unternehmen?

Die berlin biennale ist nicht die documenta. Vielmehr ist sie ein erster Versuch. Gegenüber einer Person, die bereits die zehnte Veranstaltung einer bedeutenden Reihe von Großausstellungen leitet, ist man als jemand, der eine solche Institution gründet oder erfindet, in einer ganz anderen Position. Man darf die beiden Sachen nicht vergleichen: Berlin ist nicht Kassel, schon wegen unseres viel niedrigeren Etats von 2,5 Millionen Mark. Ich habe die berlin biennale gegründet; man wird sehen, wie

viel Chancen sie hat, aber irgendwann muß man die Staffel weiterreichen, und spätestens dann wird man über eine Jury nachdenken müssen. Zunächst habe ich doch mit einer Idee dagestanden und für diese Idee eben irgendwann Gelder beantragt. Letztendlich wurde damit auch über die Idee und das Konzept entschieden.

Nun ist das Konzept auf Klaus Biesenbach als Kurator und Chef der berlin biennale zugeschnitten – am Ende läuft die Synergie aus den bunt gemischten Ausstellungsbereichen doch auf eine völlige Personalisierung hinaus?

Zumindest läuft es darauf hinaus, daß ich einen entscheidenden Einsatz vor und während der Realisierung bringe und am Ende auch die Verantwortung dafür trage. Vorher haben allerdings Nancy Spector, Hans-Ulrich Obrist und ich das Konzept erstellt und die Künstlerauswahl getroffen. Dabei haben wir uns von Spezialisten aus den jeweiligen Bereichen beraten lassen. Mit der Organisation ist wiederum ein erweitertes Team aus mehreren KuratorInnen betraut worden, weil man bei einem solchen Facettenreichtum arbeitsteilig vorgehen muß. Das heißt aber nicht, daß man fünf Leute braucht, um einen Text zu formulieren. Das ganze Projekt kann nur eine gewisse Schärfe erreichen, wenn alle Informationen bei einer Person zusammenlaufen.

Wie muß man sich denn die Künstlerauswahl im Teamwork vorstellen? Wessen Geschmack setzt sich durch?

Die Auswahl hat immer als Konsens stattgefunden. Es werden nur nicht dreimal die Bilder umgehängt, weil jeder eine andere Vorstellung der Präsentation hat.

Wie Nancy Spector und Hans- Ulrich Obrist gehören auch Sie einer Generation um die Dreißig an. Markiert die berlin biennale damit auch einen Bruch zur alten Kuratorenriege um Germano Celant oder Harald Szeemann?

Das ist interessant. 1997 bin ich unter anderem auch für die Jury der Biennale in Venedig eingeladen worden, vermute ich, weil ich in dem Jahr geboren wurde, in dem Germano Celant sein Konzept der letzten Biennale „future present past“ beginnen ließ. Insofern stimmt es schon, wir sind alle drei mit einer bestimmten Künstlergeneration im Kontakt – unserer eigenen. Das hängt auch mit einem Paradigmenwechsel von der Industrie- zur Informations-, Service- und Dienstleistungsgesellschaft zusammen: Information ist plötzlich Warenform geworden. Vor zehn Jahren gab es noch kein E- Mail, Fax oder Handy, aber der Berufsstand des Kurators war auch noch nicht ganz so populär. In den neunziger Jahren stehen Kuratoren vielleicht deshalb mehr im öffentlichen Interesse, weil sie Information als Warenform verkörpern. Es sind Leute, die viel herumreisen, sich sehr viel Kunst anschauen, Informationen aufnehmen und diese dann weitergeben. Auf einmal gibt es damit für eine gesamtgesellschaftliche Veränderung eine erkennbare Warenform.

Tatsächlich ist das ein Problem der Kunst: Es wird unglaublich viel Information bereitgestellt, aber es fehlt der Vermittler. Der junge Kurator von heute macht nicht mehr kenntlich, warum etwas als Kunst präsentiert wird. Er gibt einfach nur Material weiter. Wo liegt da der Vorteil?

Gut, aber das hat zwei Ebenen. Einmal argumentiert man von einem Gesellschaftsbild aus, das im Sinne der Avantgarde und Moderne zielgerichtet ist; zum anderen gibt es das Modell, bei dem im Sinne Deleuze' kein Entweder- Oder mehr gilt, sondern ein Sowohl-Als-auch. Die jüngere Generation ist sicherlich mehr von Deleuze und der antiautoritären Präsentation geprägt. Man entscheidet sich zwar für bestimmte Positionen, aber nicht aus ideologischen Gründen, sondern aus der Situation heraus.

In Berlin wird mit dem Regierungsumzug vermutlich wieder eine feste Hierarchie aufgebaut. Sind Veranstaltungen wie die biennale nicht bloß ein Alibi für den utopieverliebten Nachwuchs?

Es gibt Fälle, daß Freiräume diese Möglichkeit bieten. Aber wenn ich mir etwas Neues überlege, dann wird das ja auch nur wieder monopolistisch. Noch gibt es niemanden in Berlin, der mit der Stadt als neuer Macher identifiziert wird, jedenfalls nicht so, wie man etwa Popkultur in London über Björk, Take That oder Damien Hirst definieren kann. Hier kann man sich nicht einfach so durchsetzen, man hat immer die Stadt gegen sich, darin liegt die Chance – so wie es Christoph Schlingensief mit seinem „Scheitern als Chance“ formuliert hat. Vor fünf Jahren dachte man noch, in ein paar Jahren hat Berlin fünf Millionen Einwohner. Aber das ist nicht passiert. Berlin bleibt unvorhersehbar, und das stimmt mich schon zuversichtlich.

Die Berühmtheit im Kunstbereich heißt mittlerweile Klaus Biesenbach, und das ist auch ein Resultat der Möglichkeiten auf diesem heterogenem Feld.

Man kann in dem heterogenen Feld sicher eine Position und erkennbares Profil gewinnen. Die Pointe liegt vermutlich darin, daß die Berliner diejenigen, von denen man auch außerhalb in bezug auf Berlin spricht, eigentlich nicht mehr in der Stadt haben möchten. Interview: Harald Fricke