Wenn das Video läuft, hat Clinton seinen Auftritt

Heute nachmittag spricht der US-Präsident zum Auftakt der Generaldebatte der UNO-Vollversammlung. Das Verhältnis der USA zu der Weltorganisation ist auf einem historischen Tiefpunkt angelangt  ■ Aus New York Andreas Zumach

Der Präsident der einzig verbliebenen Weltmacht spricht vor der UNO-Vollversammlung über die großen internationalen Herausforderungen dieser Zeit, während parallel über die Fernsehbildschirme im UNO-Hauptquartier sowie vermutlich rundum den Globus seine peinlichen Lügen in einer Meineid- und Sexaffäre ausgestrahlt werden. Das Szenario, das sich heute in New York zum Auftakt der Generaldebatte der 53. Vollversammlung abspielen wird, wäre einem Film- oder Buchautor noch vor wenigen Wochen wahrscheinlich aus dem Manuskript gestrichen worden.

Das Weiße Haus in Washington hatte sich bis zuletzt alle Optionen offengelassen. Während alle anderen Staaten ihre Redner für die zweiwöchige Generaldebatte längst nach New York gemeldet hatten – zumeist die Regierungschefs oder Außenminister –, fiel die Entscheidung für den Auftritt Bill Clintons erst am letzten Freitag – Minuten, nachdem der Justizausschuß des Abgeordnetenhauses beschlossen hatte, das Video mit dem Verhör Clintons vom 17. August ab 9 Uhr Ortszeit heute morgen zu veröffentlichen. „Der Präsident bleibt am Ball. Jetzt erst recht!“ verkündete der Pressesprecher der amerikanischen UNO- Botschaft.

Ablenkungsmanöver von der Lewinsky-Affäre

Tatsächlich ist damit zu rechnen, daß Clinton versuchen wird, sich mit einem offensiven Plädoyer für einen „konstruktiven Multilateralismus“ der USA als weitsichtiger Staatsmann und Freund der UNO zu profilieren und damit von der Lewinsky-Affäre abzulenken. „Wahrscheinlich wird der Präsident die republikanische Mehrheit im Kongreß, die ihm in dieser Lewinsky-Affäre so zusetzt, so scharf wie nie zuvor in seiner Amtszeit wegen ihrer Weigerung kritisieren, die Haushaltmittel für die Begleichung der US-Schulden bei der UNO freizugeben“, erwartet Jim Paul, Direktor des New Yorker „Global Policy Forum“. Paul beobachtet und analyisert seit vielen Jahren das Geschehen in der UNO und die Politik seiner Regierung in der Weltorganisation.

In der Öffentlichkeit des eigenen Landes kann Clinton mit seinem möglicherweise letzten Auftritt vor der UNO vielleicht noch einmal ein paar Punkte machen und das Lager derjenigen verstärken, die ihn trotz aller Kritik und Enttäuschung über sein Verhalten in der Lewinsky-Affäre weiter im Weißen Haus sehen wollen.

Kein Geld für die UNO aus Washington

Doch auf die Diplomaten und Regierungsvertreter der anderen 185 Staaten im Plenarsaal der UNO- Zentrale dürfte der Präsident kaum nachhaltigen Eindruck machen. Zu oft haben sie die Vokabel vom „konstruktiven Multilateralismus“ der USA in den letzten sechs Jahren schon gehört – sei es von Clinton, seiner Außenministerin und früheren UNO-Botschafterin Madeleine Albright oder deren Anfang September zurückgetreten Nachfolger Bill Richardson.

Die harten Fakten sprechen eine andere Sprache. Zum 31. August schuldeten die USA der UNO 1,61 Milliarden Dollar an Pflichtbeiträgen für das reguläre Budget und die Peacekeeping-Missionen. Das sind 60 Prozent der Gesamtschulden aller 186 UNO-Mitglieder und noch mehr als zu Beginn der letztjährigen Vollversammlung.

Damals hatte Generalsekretär Kofi Annan ein weitgehend von Washingtons Einsparwünschen und finanzieller Erpressungsstrategie diktiertes Reformprogramm für das UNO-System vorgelegt. Die Clinton-Administration versprach daraufhin, zumindest mit der Begleichung des von ihr anerkannten Anteils der Altschulen zu beginnen. Doch obwohl ein großer Teil der in Annans Reformprogramm vorgesehenen Einsparungen und Personalkürzungen sowie Maßnahmen zur Effektivierung des UNO-Apparats inzwischen umgesetzt wurden, hat die US-Regierung ihre Versprechungen nicht eingehalten.

Der Stuhl von Holbrooke bleibt zunächst leer

Das Ansehen der USA unter den Mitgliedern der Generalversammlung ist auf einem historischen Tiefpunkt. Das angespannte Verhältnis und der gesunkene Einfluß der USA in der Weltorganisation wird zumindest symbolisch noch durch die Tatsache unterstrichen, daß der Stuhl, auf dem heute morgen eigentlich Washingtons Stardiplomat Richard Holbrooke Platz nehmen sollte, leer bleibt. Holbrookes Bestätigung als neuer UNO-Botschafter durch den US- Senat scheiterte an noch klärungsbedürftigen angeblichen finanziellen Unregelmäßigkeiten während seiner Zeit als Privatbanker nach Abschluß des Dayton-Abkommens im Dezember 1995. Wenn überhaupt, wird Holbrooke frühestens Anfang 1999 vom Senat bestätigt.

Doch bis dahin dürfte sich das Verhältnis zwischen Washington und der UNO nach Einschätzung von Beobachtern eher noch weiter verschärfen. Zahlen die USA bis zum 31. Dezember nicht mindestens 700 Millionen ihrer 1,61 Milliarden Dollar Altschulden, wird nach Aritkel 19 der UN-Charta automatisch ihr Stimmrecht suspendiert. Und das dürfte die Bereitschaft von Jesse Helms – einflußreicher Vorsitzender des außenpolitischen Senatsausschusses und zugleich eingefleischter UNO- Gegner –, die Haushaltsmittel für die Begleichung der Altschulden zu bewilligen und Holbrooke zu bestätigen, eher noch weiter senken.