"Jetzt ist die Gewalt Geschichte"

■ Juan Maria Atutxa, Innensenator der baskischen Autonomieregierung und Mitglied der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV), äußert sich zu den Perspektiven nach der Waffenstillstandsankündigung der ETA un

taz: Sie waren mehrmals Ziel gescheiterter ETA-Anschläge. Wie haben Sie auf die Ankündigung der ETA reagiert, auf Gewalt zu verzichten?

Juan Maria Atutxa: Meine erster Gedanke war, endlich können wir hier im Baskenland aufatmen. Das betrifft vor allem diejenigen, die in der letzten Zeit ganz oben auf der Liste von ETA standen, die gewählten Vertreter der in Madrid regierenden Volkspartei (PP).

Was hat ETA letztendlich zum Waffenstillstand bewegt?

Ich glaube, der wichtigste Faktor war das Verhalten der Bevölkerung, dieser Ruf einer Gesellschaft, die über 30 Jahre mit der Gewalt lebt und über 800 Opfer zu betrauern hat, nach einem Ende der Gewalt. Außerdem hat bei Herri Batasuna, dem politischen Arm der terroristischen Organisation, ein Generationswechsel stattgefunden. Es gibt dort neue Leute, die stärker auf die Politik vertrauen. Die ETA hat sich ihnen angeschlossen. Die Waffenstillstandserklärung beweist, daß die ETA zu dem Schluß gekommen ist, daß sie mit politischen Mitteln ihre Ziele erreichen kann.

Die Gruppe geht in ihrer Erklärung davon aus, daß die gemäßigten Nationalisten – also Personen wie Sie – in der Krise sind, weil sie hätten einsehen müssen, daß die von ihnen erreichte Autonomieregelung für das Baskenland „ein steriler Weg ist“. Deshalb gelte es jetzt, die nationale Einheit aller Provinzen des Baskenlandes – auch der drei in Frankreich – und die Unabhängigkeit zu erreichen. Sind Sie bereit, mit der ETA diesen Weg zu gehen?

Wir Nationalisten der PNV haben die Autonomieregelung von 1979 immer nur als einen Zwischenschritt auf dem langen Weg zur uneingeschränkten Souveränität angesehen. Wir werden uns niemals selbst Grenzen unseres Handelns auferlegen, wenn es um die Souveränität geht. Das können wir schon wegen unserer Gefühle nicht. Und außerdem wollen wir nicht die Zukunft unserer Söhne und Enkel verpfänden. Wenn die ETA endgültig auf die Gewalt verzichtet, dann können wir mit ihrem politischen Flügel Herri Batasuna, dort, wo wir ähnliche Ideen vertreten, gemeinsam Politik machen.

Aber immer unter der Drohung, daß wenn nichts daraus wird, die Waffen wieder sprechen?

Ich glaube, daß wir an dem Punkt angekommen sind, an dem die Pistolen für immer schweigen – vorausgesetzt, daß wir, die demokratischen Parteien, nicht einen ganz, ganz groben Fehler begehen. Der Waffenstillstand ist unumkehrbar. Jetzt müssen wir Politiker die Größe beweisen, die die Gesellschaft von uns erwartet.

Der Innenminister in Madrid, Jaime Mayor Oreja, scheint damit nicht einverstanden. Er will erst einmal keine vertrauensbildende Maßnahmen ergreifen wie beispielsweise die Fahndung nach ETA-Kommandos auszusetzen. Ziehen Sie als Chef der baskischen Polizei Ertzaintza einen solchen Schritt in Erwägung?

Wer eine Polizeitruppe befehligt, ist mit der Gesellschaft die Verpflichtung eingegangen, Verbrechen zu ahnden. In dem Augenblick, in dem auf Gewalt verzichtet wird, gibt es auch weniger Verbrechen. Unsere Arbeit nimmt erheblich ab. Es geht nicht darum zu verkünden, daß die Verwaltung keinen Waffenstillstand gewähren kann, wie dies Mayor Oreja getan hat. Die Frage ist viel einfacher: Wo kein Verbrechen, da auch kein zu verfolgender Verbrecher.

Was wäre jetzt ein erster Schritt, den die Regierung in Madrid tun könnte, um die neue Situation zu konsolidieren?

Wir müssen die Nerven bewahren. Nur so können wir uns der großen Aufgabe stellen, die vor uns liegt. Der Waffenstillstand ist zweifelsohne ein gutes Fundament, um darauf das Gebäude des Friedens zu errichten. Jetzt gilt es ehrlich und offen Schritt für Schritt den Plan für dieses Gebäudes zu entwerfen. Dabei darf keiner versuchen, für seine eigene Partei Profite herauszuschlagen. Die Regierung müßte die über ganz Spanien verteilten Gefangenen ins Baskenland zurückführen. Das haben wir schon immer verlangt. Madrid schob immer das Argument vor, solange ETA mordet, könne es keine solche Maßnahmen geben. Jetzt ist die Gewalt Geschichte. Es ist Zeit, etwas zu unternehmen.

Die ETA fordert, daß die drei französisch-baskischen Provinzen Teil eines souveränen Baskenlandes sein müssen.

Wir dürfen uns vor keiner Forderung verschließen, solange sie mit politischen Mitteln und nicht mit Gewalt vorgetragen wird. Die Frage nach der nationalen Einheit ist eine Frage für die ferne Zukunft, die auch wir im Kopf und vor allem in unseren Herzen haben. Interview: Reiner Wandler