Sexvorwürfe sollen Anwar moralisch demontieren

■ Zwei Vertraute des Ex-Vizepremiers wegen angeblicher Sexaffäre zu Haftstrafen verurteilt

Bangkok (taz) – „Wir sind von Anwar sodomiert worden“ – unter solchen Überschriften präsentieren malaysische Zeitungen dieser Tage ihren Lesern angebliche Geständnisse über schwule Sexpraktiken des gefeuerten Vizepremiers Anwar Ibrahim. Am Samstag erreichte die Kampagne gegen Anwar einen neuen Tiefpunkt: In einem halbstündigen Verfahren verurteilte ein Gericht in Kuala Lumpur zwei Vertraute des Politikers zu sechs Monaten Haft. Begründung: der adoptierte Bruder und der frühere Redenschreiber Anwars hätten homosexuelle Beziehungen zu dem 53jährigen gestanden. Im mehrheitlich muslimischen Malaysia ist das strafbar.

Sichtlich erschüttert verglich Anwar die Verurteilung der beiden mit Stasi-Methoden. „Ich streite noch einmal klar und eindeutig ab, daß ich an solchen verabscheuungswürdigen Aktivitäten beteiligt war“, versicherte er. Beide Geständnisse seien unter „Folter“ zustande gekommen. „Sie haben meinem adoptierten Bruder nicht einmal erlaubt, seinen Anwalt zu sehen“, sagte Anwar gestern zur taz.

Das von der Polizei und den Medien verbreitete sexuelle Sündenregister läßt US-Präsident Clinton als Waisenkind erscheinen: Außer den schwulen Beziehungen soll Anwar auch zahlreiche Kontakte zu Frauen gehabt haben. Er sei sicher, daß die Regierung „bald Geständnisse von 30 Prostituierten“ vorlegen werde, prophezeite Anwar gestern sarkastisch.

Für den sechsfachen Familienvater, dessen Ehefrau Wan Azizah in der Öffentlichkeit stets mit Kopftuch erscheint, sind diese Vorwürfe nichts als eine Verschwörung, um ihn bei seiner Anhängerschaft zu diskreditieren. Denn er gilt als moderner Muslim, der sich nach außen weltoffen gibt und zu Hause darauf achtet, traditionelle Regeln des Koran zu befolgen. Bereits in seiner Studentenzeit hat er die „Muslimische Jugendbewegung“ gegründet. In muslimischen Kreisen finden nun seine religiös begründeten Angriffe auf Korruption und soziale Ungerechtigkeit unter dem Mahathir-Regime besonders starke Unterstützung. Ein moralisch demontierter Anwar hätte, so offenbar das Kalkül der Regierung, jede politische Legitimation verloren. Jutta Lietsch