Der homosexuelle Mann... Von Elmar Kraushaar

... darf wieder hoffen. Nach all den bahnbrechenden Trends und Innovationen der vergangenen 30 Jahre – wie Christopher Street Day, fist fucking, The Village People, drag queens, queer und gender studies – kommt erneute Hilfe aus den USA. Die heißt diesmal „Exodos“, „Courage“ oder „Homosexuals Anonymous“, lauter christliche Therapiegruppen, die nur ein Ziel kennen: den Homosexuellen „heilen“, ihn umdrehen oder „umorientieren“. Das Engagement der mehr als 15 religiösen Organisationen wird begleitet von einer Anzeigenkampagne in allen großen Tageszeitungen, mit einer Botschaft: Homosexualität ist eine Sünde, doch Gott reicht allen Sündern die helfende Hand. Die wird in den sogenannten Transformationsgruppen erfahren, ganz behutsam und therapeutisch korrekt. In monatelangem Training werden den schwarzen Schafen jegliche scheinbar homosexuellen Äußerungen und Bewegungen abtrainiert. Die Männer dürfen beim Teetrinken nicht mehr den kleinen Finger abspreizen, beim Sitzen ihre Beine nicht grazil übereinanderschlagen, und für den Kolliergriff – die fünf Finger einer Männerhand werden elegant gespreizt und in hohem Bogen zum imaginären Dékolleté geführt – droht wahrscheinlich das Fegefeuer.

Seit Erfindung der Homosexualität wird mit der Frage nach dem „Woher kommt's?“ immer auch die Frage „Wie kriegt man's wieder weg?“ gestellt. Und viele Männer ließen sich in den letzten 100 Jahren zur Beantwortung der zweiten Frage viel einfallen: Die Nazis probierten es mit Zwangskastrationen und Hormonoperationen, in den 50er und 60er Jahren kamen weitere Hormonexperimente hinzu, außerdem gehirnchirurgische Eingriffe, medikamentöse und psychoanalytische Therapien. Noch in den 70er Jahren wurde in den USA mit Elektroschocks gearbeitet, und der Sexualwissenschaftler Martin Dannecker berichtete 1972 von einem Münchner Psychologen, der seine Opfer mit einer „Ekeltherapie“ zu „heilen“ versuchte. Den Schwulen wurden Dias mit Aktaufnahmen von Männern gezeigt: einmal lecker und attraktiv und dann mit Beulen, Wunden und Ausschlag. Dagegen erscheinen die verhaltenstherapeutischen Spielchen der amerikanischen Christen geradezu fortschrittlich.

Doch auch hier ist wieder jede Anstrengung umsonst: Homosexuelle bleiben resistent. 13 lokale „Exodus“-Gruppen mußten wieder schließen, weil ihren Leitern die heterosexuelle Offenbarung versagt blieb. Und die „Exodus“- Begründer, Michael Busse und Gary Cooper, grüßen inzwischen als frischverliebtes Paar, trotz „erfolgreicher Heilung“, anschließenden Ehen und einigen Kindern.

Auch Michael Pattinson aus Beverly Hills wartet heute noch auf eine „gelungene Umorientierung“. Er vertraute sich den Scientologen an, glaubte an deren „Kur- Programme“ und ihrer Werbung mit Hollywood-Star John Travolta, der damit „geheilt“ worden sei. Eine halbe Million Dollar ließ Pattinson im Laufe der Jahre bei der Sekte. Jetzt ist er arm, immer noch schwul und klagt gegen Scientology, er fühle sich „betrogen, getäuscht und seiner Menschen- und Bürgerrechte beraubt“. Der scientologische Geheimdienst OSA reagierte gelassen auf die Klage: Sie sei „unbegründet“ und John Travolta sei schließlich „ein glücklich verheirateter Mann“.