Sex und Bill und Monica

■ betr.: „Clinton-Berichterstattung“ in der taz, hier: „Tagesthema vom 14. 9. 98, S. 3 – 6 sowie „unser Quel lendorf soll sauber werden, Repor tage, S. 13 von Jens Rübsam

Auf 5 Seiten berichtete die taz von der Sex-Affäre Bill Clintons. Zugleich veröffentlichte sie eine fünfspaltige Reportage aus Quellendorf, das seine eigene Sex-Affäre hat. Norbert Lindner ließ sich in eine Frau umwandeln und heißt jetzt Michaela. Eine Schande für das Dorf!

Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Eine ganze Menge! Man sieht förmlich, wie es dem geilen Spießbürger bei den Geschichten aus Washington und Quellendorf aus den Lefzen tropft. – Wenn der amerikanische Präsident eine Sex-Affäre mit seiner Praktikantin gehabt haben und obendrein dabei auch eine Zigarre benutzt worden sein soll, so geht das nur ihn und seine Partnerin – allenfalls noch die Tabakindustrie etwas an. Weiß der Teufel, was das eine linke Tageszeitung interessiert! Wenn sich die USA hingegen als Weltpolizist aufspielen und über dem Sudan Bomben abwerfen, dann sollte das schon von öffentlichem Interesse sein.

Genauso ist es im Fall von Norbert Lindner. Wenn er sich als Frau besser fühlt und deshalb vor einer teuren [und schmerzhaften! – d.s.in] Operation nicht zurückscheut, dann ist das ausschließlich seine Privatsache. Sehr wohl verdient es aber aller Aufmerksamkeit, daß unter ihm als Bürgermeister in zwei Jahren ein neues Feuerwehrgerätehaus und ein neuer Jugendklub entstanden.

Wieviele und was für sexuelle Träumereien ein Mensch hat, das bleibt ihm selbst überlassen [...] Peter Scheitler, Erkner

Hallo! Was ist da los in Berlin? Hat Euch jemand was in den Kaffee getan?

Die Ausgabe von Samstag ging mir ja schon auf den Sack, aber heute [am 14. 9.] hab ich direkt ins Müsli gespuckt. Wenn Eure Clinton-Manie nicht bald vorbei ist, könnt Ihr Euch mein Abo in die Haare schmieren. Christian Oetken, Oldenburg

Eine ganze taz-Ausgabe nur über die „Clinton-Affäre“? Seid Ihr noch zu retten? Ein „Übermaß“ an Peinlichkeiten, in der Tat! Aber für die taz!

Ein perverser alter Mann wühlt auf Kosten des Steuerzahlers im Privatleben des Präsidenten und will alle Menschen, die Zugang zu den Medien haben, zu Voyeuren machen. Amerika, Du bist halt anders!

Warum macht die taz das eigentlich mit? [...] Ich lese Zeitung, um Informationen zu wirklich wichtigen Fragen und Ereignissen zu bekommen. Es gibt genug Themen, die es verdient hätten, daß man Ihnen so breiten Raum einräumt, Bosnien, der Kosovo, die Bombardierung der pharmazeutischen Fabrik im Sudan durch die Amerikaner, die Zukunft der Rentenversicherung, Erfahrungen mit der Ökosteuer und viele andere.

Eine derart erniedrigende Behandlung hat kein Mensch verdient. Und Präsident Clinton, der unbestreitbare Verdienste, zum Beispiel um den Frieden in Irland hat, schon gar nicht. Dr. Eduard Belotti, Stuttgart

... und „das Ende einer Tragikomödie“, Kommentar von Markovits, taz vom 11. 9. 98

Auch Markovits haut Clinton in die Pfanne. Auch für ihn ist es selbstverständlich, daß die Öffentlichkeit das Privatleben einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens aufmischen darf – [...] Man rümpft die Nase darüber, hält es aber doch für normal. Gut, damit muß man leben. Es ist allerdings eine andere Sache, diese irrsinnige Normalität auch noch gutzuheißen. – Wird das Privatleben der Politiker zum wichtigsten, für die Öffentlichkeit interessantesten Aspekt der Politik, dann hat sie sich als politische Öffentlichkeit selbst ruiniert. Politische Sachfragen sind ohnehin bereits hinter naiven Spekulationen über die „Glaubwürdigkeit“ eines Politikers, einer Politikerin zurückgetreten. Die Frage, ob er oder sie „sympathisch wirkt“, ist wichtiger geworden als die Frage, was er oder sie sachlich vertritt. Die in den USA öffentlich finanzierte Schnüffelei im Intimleben zwingt Politiker dazu, ihr Privatleben als eine perfekt durchgestylte Show zu inszenieren. [...] Dahinter steht die Heuchelei von Bürgern, die geil auf Politunterhaltung sind und zugleich so tun, als seien sie davon angewidert, von Bürgern, die die Unvollkommenheiten in ihrem eigenen Charakter nicht ertragen und die von Politikern nicht verlangen, gute Politiker, sondern ideale, klinisch saubere Identifikationsfiguren zu sein. Die Medien verdienen gut dabei, indem sie das damit verbundene Star- und Skandalspiel effektvoll inszenieren; Personalityshows verkaufen sich besser als Programme. Eunuchen, entschlossene Heuchler, Showstars – sind das die Politiker, wie wir sie wollen? Für die Amerikaner jedenfalls (und für Markovits) darf ein Präsident kein Mensch mehr sein. [...]. Und wenn, wie ich lese, die Mehrheit der Amerikaner Clinton im Amt bleiben lassen will, dann frage ich mich, welchen Sinn das macht: Erst erlauben sie es, daß man den Präsidenten politisch kaputt macht, und dann soll die Ruine weiter für sie erfolgreich Politik machen.

[...] Wer schützt die politisch interessierten Bürger davor, daß sie von der geilen Neugier unpolitischer Bürger [...] überschwemmt werden mit Infotainment; davor, daß alle Politik in Intimitäten und Moralismus ertränkt wird? Niemand. Aber es würde mir doch gefallen, wenn wenigstens die taz ein wenig mehr Widerstand leisten könnte. Leo Brux, München

... und „Stalinismus auf amerikanisch“ von Klaus Kreimeier, taz vom 16. 9. 98, Schlagloch, S. 12

Kreimeiers Unterscheidung zwischen dem Privatleben eines Amtsträgers und seiner amtlichen Tätigkeit dürfte schon grundsätzlich fragwürdig sein. Je höher das Amt, desto weniger läßt sich das nach meiner Auffassung sauber voneinander trennen. Oder ist es altmodisch, von dem Präsidenten eines Staates eine gewisse Vorbildfunktion zu erwarten, die auch sein Privatleben umgreift?

Was aber versteht Kreimeier überhaupt unter „privat“? Bill Clinton hat seine Sexspiele in den Amtsräumen des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika getrieben mit einer Mitarbeiterin dieses Präsidenten der Vereinigten Staaten und während seiner amtlichen Tätigkeit, nämlich während amtlicher Telefongespräche. Was müßte man von einem Richter halten, der während einer Zeugenvernehmung oder während des Plädoyers eines Rechtsanwalts sich unter dem Richtertisch von einer Gerichtsreferendarin einen blasen läßt? Er hätte seinen Beruf verfehlt, meine ich. Wolfgang Rebitzki, Richter am Bundesgerichtshof a.D., Berlin

Ist es wirklich notwendig, Clinton 5 (= fünf!) Seiten zu widmen?! Ich sage: Nein! Es ist eine fadenscheinige Debatte. Peter-Paul Klinger, Kassel

Ich bin der Meinung, den Sonderermittlern könnte man folgenden Spruch ins Stammbuch schreiben: Erst wenn wir merken, daß Gerechtigkeit die Maske ist, hinter der wir beim anderen das bekämpfen, was wir bei uns verstecken, kann das Schwert der Weisheit das Geheimnis durchdringen. (Advocatus Diaboli-Baphomet Tarot) Hans Raab, Lichtenfels