■ Die Clinton-Affäre und die zwiespältigen Erfolge der 68er
: Plädoyer für neue Grenzen des Privaten

Die Lewinsky-Affäre ist, nach der Veröffentlichung des Starr-Reports und von Clintons Videoaussagen, endgültig zu einer Schlammschlacht geworden. Jede Partei versucht Punkte zu machen – das ist zum Kern der Auseinandersetzung geworden. Das US-Publikum verfolgt diesen Kampf mit gelassener Neugier und scheint dem leicht zu durchschauenden Intrigenspiel aus wechselseitigen Lügen, Verdrehungen und Unwahrheiten keinen besonderen Stellenwert zuzumessen – so, als habe man sich daran gewöhnt, daß die Verquickung des Politischen und des Pornographischen zum Signum der US-Politik geworden ist.

In Deutschland wird die Affäre entweder unter dem Kapitel „puritanische Moral der Amerikaner“ abgehakt oder aber dient als Folie für den Verlust von Visionen. Die Inszenierungen rund um die Clinton- Äffare werden kurzerhand zum Katalysator einer Verdummungskampagne erklärt, um – so Micha Hilgers kürzlich in der taz – das Publikum angesichts der wachsenden politischen Komplexität mit voyeuristischer Lust am Exhibitionismus zu unterhalten.

So sehr man geneigt ist, ihm recht zu geben, so sehr erstaunt doch aus der aufklärerischen Perspektive der 68er das Wehklagen über die öffentliche Demontage des US-Präsidenten angesichts seines im Amt begangenen moralischen Fehlverhaltens. Schließlich hatten die 68er doch den Leitspruch auf ihr Banner geschrieben: „Das Private ist politisch“. Wieso wundert man sich jetzt, daß das Politische privat geworden ist?

War es nicht das erklärte Ziel, die bürgerliche Trennung zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten aufzuheben? Man(n) und vor allem Frau wollten den Schleier des Privaten lüften, um dahinter Doppelmoral sichtbar zu machen. Sexualität und Gewalt in den Geschlechterbeziehungen, Ausnutzung von Herrschaftsverhältnissen zur Unterdrückung und sexuellen Ausbeutung von Frauen – das waren und sind doch die Themen einer Agenda, in der das Politische neu definiert und remoralisiert wurde. Gerade im vermeintlich Privaten, so das Credo, trete der repressive Charakter mancher Strukturen ungeschminkt zutage und müsse demaskiert werden.

Allerdings hatte sich damals wohl kaum einer träumen lassen, wie erfolgreich dieser Leitspruch eines Tages sein würde. Gemessen an der heutigen medialen Realität klingen viele der Forderungen, die damals geradezu revolutionär waren, harmlos. Sexuelle Tabus gibt es, auch in den seriösen Medien, kaum noch. In einschlägigen Talkshows des Nachmittagsfernsehens treten ohnehin reihenweise skurrile Typen auf, die ihre sexuellen Erfahrungen ausbreiten. Sexuelle Minderheiten schließlich gehören heute zu jeder guten Soap-opera oder Familienserie. Längst ist auch Gewalt in den Geschlechterbeziehungen kein Randthema mehr. Der Starr-Report ist insofern, zumindest für europäische Verhältnisse, ziemlich harmlos.

Es ist kein Wunder, daß angesichts der mittlerweile erfolgten Trivialisierung ihrer ursprünglich „revolutionären“ Anliegen heute unter den 68ern keine rechte Freude aufkommen will. Die Bewegung wurde, entgegen der eigenen Absicht, zum Katalysator einer fortschreitenden Funktionalisierung des Öffentlichen durch das Private. Trotz aller ideologischen Kollektivismen, die die Studentenbewegung auf ihre Fahnen geschrieben hatte, war sie in erster Linie auf radikale Subjektorientierung aus – auf Selbstverwirklichung und Autonomie. Erschrocken über die ambivalente Wirkung des Slogans „Das Private ist politisch“, hatte Barbara Sichtermann schon in den 80ern formuliert, daß es darum gehen müsse, „die letzten Residuen öffentlichen Lebens vor zunehmender Intimisierung zu bewahren“ und, wie man ergänzen könnte, darum, die letzten Residuen intimen Lebens vor zunehmender Veröffentlichung zu schützen.

Ohne der Illusion aufzusitzen, daß man die mediale Überlagerung des Öffentlichen durch das Private wird rückgangig machen können, käme es insofern darauf an, neue Grenzen zwischen den beiden Bereichen zu errichten – Grenzziehungen, die zwar nicht in die Vergangenheit der bürgerlicher Doppelmoral zurückfallen, gleichwohl aber den öffentlichen Raum vor einem schrankenlosen Eindringen der Intimität schützen. Lothar Probst

Politik- und Kulturwissenschaftler an der Uni Bremen