Schwedische Sozis brauchen Hilfe

Den Machterhalt schaffen die geschwächten Sozialdemokraten nur mit Unterstützung der Linkspartei und der Grünen. Linke und rechte „Protestparteien“ legen bei der Parlamentswahl deutlich zu  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Zu einem extremen Wahlergebnis haben sich die bislang recht parteitreuen SchwedInnen am Sonntag hinreißen lassen. Sozialdemokratie und Zentrum mußten das schlechteste Wahlresultat seit Einführung des allgemeinen Wahlrechts zu Beginn dieses Jahrhunderts hinnehmen. Fast jede(r) vierte WählerIn stimmte für linke und rechte „Protestparteien“.

Ministerpräsident Göran Persson kann mit seiner sozialdemokratischen Partei vermutlich weiterregieren, obwohl diese ein Viertel ihrer Wählerschaft verlor und von 45,3 auf 36,6 Prozent schrumpfte. Aber nur deshalb, weil es auf der bürgerlichen Seite auch nicht für eine Mehrheit reicht. Politischen Einfluß als Mehrheitslieferant für die Sozialdemokraten können andere Wahlverlierer bekommen: die Grünen, die um ein Fünftel schrumpften und mit 4,5 Prozent nur knapp die Vierprozentsperrklausel schafften.

Persson ist aber vor allem auf einen anderen parlamentarischen Partner angewiesen: die exkommunistische Linkspartei. Sie konnte ihre Stimmenzahl von 6,2 auf 12 Prozent verdoppeln und damit einen großen Teil des ProtestwählerInnenpotentials sammeln, welches mit der sozialdemokratischen Partei unzufrieden war und trotzdem – die Wahlbeteiligung war mit 78,6 Prozent so niedrig wie seit vierzig Jahren nicht – wählen ging.

Hinter diesem Protest stand die Unzufriedenheit darüber, daß die Regierung Persson die Staatsfinanzen mit einem Sparprogramm sanierte, das primär den öffentlichen Gesundheits- und Bildungssektor und die eigene WählerInnenschaft traf. Das von der bürgerlichen Regierung übernommene Budgetdefizit konnte sie nur auf Kosten des sowieso schon geschrumpften Wohlfahrtsstaats in einen Überschuß verwandeln. Die Linkspartei hatte gelobt, diese Entwicklung zurückzudrehen, was einen Teil ihres Erfolgs erklärt. Der andere Teil heißt Gudrun Schyman, die Parteivorsitzende, die als einzige weibliche Alternative unter den ansonsten ausschließlich männlichen Parteiführern überproportional viele Frauenstimmen nach linksaußen lockte.

Das Phänomen „Protestwahl“ traf allerdings auch die bürgerlichen Oppositionsparteien. Die Konservativen erhielten nur 22,7 Prozent, nachdem ihnen noch vor Monaten bis zu 30 Prozent vorhergesagt wurden. Dies, obwohl die Konservativen mit dem Ex-Bosnien-Vermittler Carl Bildt nicht nur den einzigen Gegenkandidaten zu Göran Persson präsentierten, sondern dieser auch jahrelang der insgesamt populärste schwedische Politiker war.

Spitzenfigur im bürgerlichen Lager könnte nun der – neben Gudrun Schyman – andere Wahlsieger werden: Alf Svensson, Parteivorsitzender der Christdemokraten. Mit einem Sprung von 4,4 auf 11,8 Prozent legten sie kräftig zu. Die Partei, die keine Rechtsaußen-, aber doch eine Außenseiterpartei ist – für viele ihrer Mitglieder ist Abtreibung Sünde und Homosexualität eine Gotteslästerung –, war trotz der Unklarheit ihrer programmatischen Aussagen erfolgreich. Vor allem viele bis zuletzt unsichere WählerInnen, für die der Weg zu einer „richtigen“ Oppositionspartei wie der Linkspartei dann doch zu gewagt war, stimmten für den „Moralprediger“ Svensson. Dieser drückte gleichzeitig das Zentrum mit 5,1 Prozent (minus 2,6 Prozent) auf das schlechteste Ergebnis ihrer Parteigeschichte und verbannte die Liberalen mit 4,7 Prozent (minus 2,5 Prozent) beinahe aus dem Reichstag.

Da die vier bürgerlichen Parteien sich aber vor allem gegenseitig Stimmen abknöpften und mit zusammen 159 der 349 Reichstagsmandate keine Mehrheit zustande brachten, wird der neu-alte Ministerpräsident vermutlich Persson heißen. Bei der Abstimmung über seine Regierung kann er mit den Stimmen der Linkspartei und der Grünen rechnen. Wie es mit der Regierungsarbeit danach weitergehen soll, steht aber in den Sternen. Die Sozialdemokraten wollen keine Koalitionspartner, sondern es mit einer Minderheitsregierung versuchen. Vor allem die Grünen könnten Persson Kopfschmerzen bereiten. Sollten sie sich als bloße Jasagerpartei für die Sozialdemokraten hergeben, dürften sie beim nächsten Mal den Sprung in den Reichstag nicht mehr schaffen. Werden sie zu „unbequem“, könnte die Persson-Regierung wie schon in der letzten Legislaturperiode, als man von der Linkspartei zum Zentrum wechselte, die notwendigen Mehrheiten in der Mitte suchen – eventuell sogar bei den Christdemokraten.

Schweden scheint eine instabilere Legislaturperiode bevorzustehen, als es die vier vergangenen Jahre waren. Einige KommentatorInnen sahen gestern bereits vorgezogene Neuwahlen noch vor der Jahrtausendwende voraus. Kommentar Seite 12, Portrait Seite 13