Clinton-Video überschattet UNO-Debatte

Die jährliche Sitzung der Generalversammlung findet diesmal unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt. Bundesaußenminister Klaus Kinkel hofft auf ein baldiges Kosovo-Mandat  ■ Aus New York Andreas Zumach

Seit Jahrzehnten beginnt am dritten Montag im September die Generaldebatte der UNO-Vollversammlung. Eine Routine, von der die Millionen New Yorker außerhalb der UNO-Gemeinde normalerweise kaum Notiz nehmen. Der gestrige Montag wird jedoch noch lange in Erinnerung bleiben. Zum einen als Clintons „Videotape-Day“. Zum anderen wegen der extremsten Sicherheitsvorkehrungen und den damit verbundenen Behinderungen, die die Stadt am Hudson-River bislang erlebt hat. Beides hat nichts miteinander zu tun. Die weiträumigen Absperrungen um die UNO-Zentrale sollten nicht etwa über die Sexaffäre ihres Präsidenten erboste US-BürgerInnen von Demonstrationen abhalten. Mit derartigen Protesten wurde in der liberal-weltoffenen Hochburg von Clintons demokratischer Partei mit ihrem hohen Anteil weiterhin Clinton-treuer schwarzer BürgerInnen ohnehin nicht gerechnet. Die massiven Betonblöcke und quergesstellten Lastwagen an den Zufahrtsstraßen zum UNO-Gebäude sollen jede Möglichkeit eines Anschlags verhindern, wie sie im August gegen zwei US-Botschaften in Afrika verübt wurden.

Neben der internationalen Finanzkrise, den Konflikten im Kosovo und in anderen Weltregionen sowie der Lage in Rußland war die „Bedrohung durch den internationalen Terrorismus“ denn auch eines der wichtigsten Themen von Clintons Rede vor der UNO-Generalversammlung. Auf die Forderung zahlreicher UNO-Staaten nach einer Untersuchung der US- Bombenangriffe auf Ziele in Afghanistan und Sudan, mit denen die USA auf die Attentate gegen ihre Botschaften reagierten, ging Clinton dabei allerdings nicht ein. Und dies, obwohl die New York Times mit ihrer gestrigen Titelgeschichte die Behauptung der Clinton-Administration von „überzeugenden, schlüssigen Beweisen“ für eine Chemiewaffenproduktion in der zerbomten Fabrik im Sudan sowie für Sudans Verbindungen zu Usama Bin Laden, dem vermuteten Drahtzieher der Anschläge auf die beiden US-Botschaften, endgültig widerlegte.

Das Kalkül Clintons, mit seinen gestrigen Ausführungen zu zahlreichen Problemen der internationalen Politik von der Lewinsky- Affäre abzulenken und sein Standing beim heimischen Publikum zu verbessern, dürfte kaum aufgegangen sein. Denn neben den Mitgliedern der US-Delegation im Plenarsaal des UNO-Gebäudes sowie den amerikanischen Journalisten, die die Rede auf den Bildschirmen des UNO-TV verfolgen konnten, bekam kaum einer der 240 Millionen US-BürgerInnen sie zu sehen. Live lief statt dessen während Clintons UNO-Rede auf CNN und zahlreichen anderen Kanälen das vierstündige Video mit Clintons Grand-Jury-Aussage über seine Beziehungen mit Lewinsky.

Clintons Chancen auf einen Verbleib im Amt galten zumindest unter den gestern in New York zahlreich versammelten deutschen US-Korrespondenten als weit größer als die von Bundesaußenminister Klaus Kinkel, der heute morgen vor der UNO-Generalversammlung sprechen wird. Die meisten erwarteten, daß dies der letzte Auftritt Kinkels auf der internationalen Bühne sein wird. Nur der Bundesaußenminister selbst versuchte, Optimismus zu verbreiten.

Bei einem Bootsausflug mit deutschen Journalisten sowie einem gemeinsamen Abendessen mit Henry Kissinger am Sonntag abend verwies Kinkel voller Zuversicht auf die „deutlich gestiegenen Umfragewerte für die CDU/ CSU und den „Rückgang der SPD“. Noch sei „alles offen“. Zuversicht verbreitete der Bundesaußenminister auch mit Blick auf eine baldige Resolution des UNO- Sicherheitsrats zum Thema Kosovo. Nach seinen jüngsten Gesprächen mit dem russischen Außenminister Iwanov wolle er nicht ausschließen, daß Rußland noch in dieser Woche einem Resolutionsentwurf der Briten und Franzosen über Zwangsmaßnahmen nach Kapitel 7 der UNO-Charta zustimmen könnte.