"Die Leser haben genervt"

■ Zum 20. Jahrestag der taz-Nullnummer ein Gespräch im alten Stil: Mitbegründer Thomas Hartmann, genannt ThoHa, über die Liebe, den Inhalt seiner Müslischüssel und den Machterhalt durch Leserbriefe

taz: Herr Hartmann, ich möchte mit Ihnen ein Interview machen, wie ich mir vorstelle, daß es in die taz-Nullnummer reingepaßt hätte. Das heißt, wir sagen erst mal „du“ zueinander, einverstanden?

ThoHa: (zögerlich) Ja.

Außerdem müssen wir radikal subjektiv sein. Was hast du zum Frühstück gehabt?

Einen Joghurt. Mit Früchtesalat. Und Müsli.

Wie hat...

Und Kaffee.

Wie hat dich das politisch weitergebracht?

Gar nicht.

Ich bin ja jetzt 27, und das ist schon eine andere Generation als du. Da bist du schon eher ein Veteran für mich, so nach dem Motto: „Opa war in Stalingrad, Papa bei der taz.“ Veteranen haben ja die Neigung, von vergangenen Schlachten viel zuviel zu erzählen. Aber erzähl mal eine Episode.

Bei der Nullnummer war eine große Alternative: Es gab zwei lange Berichte, einer zum Thema Gorleben, ein anderer zum Thema Sandinistas. Das war schon eines der kleinen Schmankerl. Da wurde nämlich ein Artikel von Gabriel Garcia Marquez, „Der Sturm auf den Nationalpalast in Managua“, für diese Nummer zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt. Und beides waren zwei Seiten, und auf 12 Seiten hat nicht beides reingepaßt. So mußte man sich entscheiden, ob man entweder Ökologie oder Internationales rausschmeißt.

Und?

Wir haben 16 Seiten gemacht. Dann hatte beides Platz.

Einfach so?

Die erste Nullnummer hat ja acht Tage gedauert. Wir hatten uns einen Tag gewählt, den 21. September, von dem sollte das der Nachrichtenstand sein. Aber wir haben uns eben Zeit genommen, die Sachen zu bearbeiten. Es war ja ein riesenkompliziertes Kommunikationsunterfangen, 50 Leute in 10 Städten. Da gab es zum Beispiel, was wir damals Basisberichte nannten. Und da war natürlich viel zuviel da. Da ist dann die Zeitung eben erst am 26. September angedruckt worden.

Zum zehnjährigen taz-Jubiläum 1988 schrieb Wiglaf Droste im „Konkret“: „Die taz ist eine Zeitung, deren Leser jeden Morgen in ihrem Weltbild bestätigt werden wollen.“ Und er hängte den Reim an: „Denn so ist der Abonnent – schon zum Frühstück präpotent.“ Haben euch die Leser genervt?

Zum Teil hat's genervt, aber es war immer auch so in der taz, daß man seine eigene Position mit Leserbriefen begründen konnte. In der Regel sind dann nicht etwa die taz-Macher durch die Leser zu anderen Positionen gekommen, sondern es hat sich eben jeder die Leserbriefe rausgesucht, die die eigene Position unterstützen.

Es wurde ja auch über das richtige Verständnis von Journalismus gestritten, der damals noch „Medienarbeit“ hieß. 1982 schildert ein taz-Mann namens Christoph sein Problem auf einer Diskussionsseite: „Bei der Medienarbeit ist uns diese Dialektik von Nähe und Distanz und der Umgang damit besonders wichtig. Mir fiel dabei die Analogie zu Liebesbeziehungen ein, die auch nur gelingen, wenn dieser Widerspruch zwischen Nähe und Distanz produktiv gemacht wird. Aber was heißt das fürs Schreiben?“ Kannst du Christoph helfen?

(grinst) Also, das Problem kann ich auch nicht lösen. Das haben wir ja schon bei der Nullnummer gemerkt: Diese ganzen Wünsche und Hoffnungen, das heißt, die Sachen viel subjektiver darzustellen, den Schreiber mit seiner Grundposition nicht rauszulassen usw., das ist auch ein Problem, wenn das nachher in der Zeitung drinsteht. Vor allem für die, die den Schreiber nicht kennen.

Du greifst das Wort Liebe ja gar nicht richtig auf! Müssen wir uns nicht fragen: Gäb's mit mehr Liebe in der taz täglich eine bessere taz?

Ich kann nicht über die taz von heute sprechen, wieviel Liebe da noch vorhanden ist. In der Anfangszeit haben sich jedenfalls sehr viele Beziehungen hergestellt. Da sind Freundschaften entstanden und Liebesverhältnisse und auch in der taz offen gezeigt worden. Das war durchaus nicht abgespalten.

Was auch ökologische Vorteile hat, wie in der Nullnummer zu lesen war: „Hätten wir mehr menschliche Wärme, bräuchten wir weniger Energie.“ Interview: Patrik Schwarz