...und das ganze Global village schaut zu

■ Weltweit wurden gestern die Videos der Clinton-Aussage ausgestrahlt. In Deutschland reagierten n-tv und Phoenix auf Politikeräußerungen des Abscheus („zum Kotzen“, „unter aller Sau“) mit Auslassung anstößiger Stellen

Washington/Berlin (taz) – Spätestens gestern um 15.25 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit dürfte Bill Clinton bereut haben, daß er einer Videoaufzeichnung seiner Aussage vor der Grand Jury zugestimmt hatte. Gleich der Beginn der Aufzeichnung zeigte den Präsidenten, wie man ihn bisher kaum kannte: Nervös und gespannt räusperte er sich, griff nach einem Wasserglas, setzte die Brille auf und ab. Die ersten Minuten waren noch Routine. Clinton leistete den Eid. Er wurde vor Falschaussagen gewarnt. In einer vorbereiteten Erklärung gab er „intime Kontakte“ zu, die aber keine „sexuelle Beziehung“ im Sinne der ihm seinerzeit vorgelegten Definition gewesen seien.

CNN hatte nicht versäumt, seine Zuschauer und Zuschauerinnen vor der Ausstrahlung zu warnen, vor allem die an Clinton gerichteten Fragen enthielten sexuelle Details und seien „für Kinder ungeeignet“. Als dann das erste Videoband lief, stellte sich heraus, daß zumindest soweit die Sorge kaum begründet war. Kenneth Starr und seine Kollegen hatten nämlich zu Beginn keine eigenen Mikrofone, lediglich Clintons Antworten waren einigermaßen mühelos zu verstehen – bei einem Hintergrundrauschen, das an Schmalfilme der siebziger Jahre erinnerte. Schon nach einigen Minuten der Befragung zeigte sich Clinton überrascht und schlecht vorbereitet: Die Ermittler insistierten unablässig, ihn auf eine Definition sexueller Beziehungen festzulegen, die die Richterin gebraucht hatte, die ihn im Paula-Jones-Verfahren vernommen hatte. Clinton hatte diese Definition nicht zur Hand, mußte sich den Text geben lassen und minutenlang studieren – um dann immer wieder einer genauen Definition auszuweichen und zu erklären, daß für ihn wie „die meisten Amerikaner“ sexuelle Beziehung Geschlechtsverkehr einschließe.

Er, so Clinton, habe erwartet, zu den gravierenden Vorwürfen wie Behinderung der Justiz befragt zu werden. Statt dessen ging es weiter mit Fragen nach den Geschenken, die Lewinsky und er ausgetauscht hatten. Angesichts der vielen Geschenke, die er im Laufe des Jahres erhalte, sei ein solches Thema für ihn nicht von Bedeutung. Er könne sich daher auch nicht an alle Geschenke, die er Monica Lewinsky gemacht habe, erinnern: ein schwarzer Hund und ein Buch, ja – aber an die von den Anwälten angesprochene Schokolade leider nicht. Geschenke seien schließlich „nichts Verwerfliches“.

In Deutschland und Europa häuften sich in den Stunden vor Beginn der Ausstrahlung die Stimmen der Empörung. Besonders tief in die Kiste des deutschen Wortschatzes griffen dabei Bundeskanzler Kohl („zum Kotzen“) und FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle („unter aller Sau“), während Antje Vollmer, grüne Vizepräsidentin des Bundestages, abschreckende historische Vorbilder bemühte („Inquisition“). Sie appellierte an die Öffentlichkeit, bei der Bonner US-Botschaft gegen die „Menschenrechtsverletzung“ am „Präsidenten und seiner Familie“ zu protestieren. Unter dem Druck der Politikeräußerungen entschlossen sich die Sender n-tv und der von ARD und ZDF getragene Dokumentionskanal Phoenix, das Video nur in gekürzter Form auszustrahlen. Die Deutsche Bahn wollte die TV- Leinwände auf 80 deutschen Bahnhöfen schwarz lassen.

In Frankreich nannte der ehemalige sozialistische Kulturminister Jack Lang das Senden des Bandes einen „audiovisuellen Mordversuch“ an Clinton. Premier Jospin versicherte Clinton seiner Solidarität. MR

Tagesthema Seite 3, Kommentar Seite 12

Clintons Rede vor der UNO Seite 10