Applaus in der UNO, Peinliches im Video

■ Während die großen US-Fernsehsender das Video mit der Aussage des Präsidenten zu der Affäre mit Monica Lewinsky ausstrahlen, zeigen Staatsmänner aus aller Welt Clinton vor der UNO demonstrativ ihre Unterstützung

Washington/Berlin (taz) – Vergeblich versuchte Bill Clinton gestern, die Aufmerksamkeit der US-Öffentlichkeit von der Ausstrahlung der Videos seiner Vernehmung abzulenken und sich als entschlossener Staatsmann zu präsentieren. Vor seiner Grundsatzrede zur Eröffnung der UNO-Vollversammlung bedachten ihn die Delegierten zwar mit minutenlangem Applaus, doch keine der vier großen Fernsehanstalten der USA ließ sich davon animieren, die Ausstrahlung der Videoaufzeichnung durch eine Direktübertragung aus dem UNO-Hauptquartier zu unterbrechen. Erst zwei Stunden später war Clintons Rede CNN einen 15-Sekunden- Spot wert – als Pausenfüller.

Clinton live stellte den Kampf gegen den Terrorismus ins Zentrum seiner Rede und verlangte angesichts der Anschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam konkrete und schnelle Abkommen. Terroristen dürften keine Unterstützung, keine Zuflucht und keine finanziellen Mittel erhalten. Ihre Verfolgung und Verurteilung müßten beschleunigt werden.

Zur gleichen Zeit konnten die Zuschauer von CNN und den US-amerikanischen Networks einen Präsidenten erleben, der die Vernehmung durch die Sonderermittler reichlich nervös und schmallippig begann, allmählich aber seine Linie fand und den insistierenden Fragen um so selbstbewußter entgegentrat, als sie sich ganz überwiegend auf den Versuch beschränkten, ihm im juristischen Sinne eine sexuelle Beziehung mit Monica Lewinsky und damit einen Meineid nachzuweisen. Von den im Starr-Bericht angekündigten Vorwürfen der Justizbehinderung war dagegen wenig zu hören. Zeitweise ging Clinton zum Gegenangriff über und warf den Ermittlern vor, es ginge ihnen nicht um „sexuelle, sondern um politische Belästigung“.

Die ersten Minuten der Befragung waren noch Routine. Clinton leistete den Eid, und in einer vorbereiteten Erklärung, die er anschließend aus der Tasche zog, gab er „intime Kontakte“ mit Monica Lewinsky zu, die aber keine „sexuelle Beziehung“ im Sinne der ihm seinerzeit vorgelegten Definition gewesen seien.

CNN hatte nicht versäumt, seine Zuschauer und Zuschauerinnen vor der Ausstrahlung zu warnen, vor allem die an Clinton gerichteten Fragen enthielten sexuelle Details und seien „für Kinder ungeeignet“. Als dann das erste Videoband lief, stellte sich heraus, daß zumindest da die Sorge noch kaum begründet war. Kenneth Starr und seine Kollegen hatten nämlich keine eigenen Mikrofone, lediglich Clintons Antworten waren einigermaßen mühelos zu verstehen – bei einem Hintergrundrauschen, das an Schmalfilme der siebziger Jahre erinnerte. Schon nach einigen Minuten der Befragung zeigte sich Clinton überrascht und schlecht vorbereitet: Die Ermittler insistierten unablässig, ihn auf eine Definition sexueller Beziehungen festzulegen, die ihm die Richterin im Paula-Jones-Verfahren vorgelegt hatte. Clinton hatte diese Definition nicht zur Hand, mußte sich den Text erst geben lassen und minutenlang studieren – um dann immer wieder einer genauen Definition auszuweichen und zu erklären, daß für ihn wie „die meisten Amerikaner“ sexuelle Beziehung Geschlechtsverkehr einschließe.

Er, so Clinton, habe erwartet, zu den gravierenden Vorwürfen wie Behinderung der Justiz befragt zu werden. Statt dessen ging es weiter mit Fragen nach den Geschenken, die Lewinsky und er ausgetauscht hatten: ein schwarzer Hund und ein Buch, ja – aber an die von den Anwälten angesprochene Schokolade könne er sich nicht erinnern. Geschenke seien schließlich „nichts Verwerfliches“. Darüber hinaus zeigte er die bereits bekannte allgemeine Scham und Reue: „Die Wahrheit über meine Beziehung zu Monica Lewinsky ist mir peinlich und persönlich schmerzlich.“

Zu Fragen nach Details körperlicher Berührungen hatte er sich in seiner Erklärung festgelegt: Sie wollte er im Interesse der „Intimsphäre meiner Familie“ nicht beantworten. CNN hatte zuvor angekündigt, die Ausstrahlung um 20 Sekunden zu verzögern, um intime Details durch einen Piepton überdecken zu können. Doch offenbar waren die Tabus durch die Veröffentlichung des Starr-Reports schon gebrochen – lediglich einmal ertönte der Piepton, als es um Telefonsex ging. Clintons Antworten dagegen waren, teilweise nach längerem Zögern, eher eintönig: „Ich verweise auf meine Erklärung.“ Nur bei der Frage nach Oralsex antwortete er ärgerlich: „Das geht zu weit“, damit kriminalisiere man sein Privatleben.

In Deutschland und Europa häuften sich in den Stunden vor Beginn der Ausstrahlung die Stimmen der Empörung. Besonders tief in die Kiste des deutschen Wortschatzes griffen dabei Bundeskanzler Kohl („zum Kotzen“) und FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle („unter aller Sau“), während Antje Vollmer, grüne Vizepräsidentin des Bundestages, abschreckende historische Vorbilder bemühte („Inquisition“). Sie appellierte an die Öffentlichkeit, bei der Bonner US-Botschaft gegen die „Menschenrechtsverletzung“ am „Präsidenten und seiner Familie“ zu protestieren. Unter dem Druck der Politikeräußerungen entschlossen sich die Sender n-tv und der von ARD und ZDF getragene Dokumentionskanal Phoenix, das Video nur in Ausschnitten auszustrahlen.

In Frankreich nannte der ehemalige sozialistische Kulturminister Jack Lang das Senden des Bandes einen „audiovisuellen Mordversuch“ an Clinton. Premier Jospin versicherte Clinton seiner Solidarität. MR

Tagesthema Seite 3, Kommentar Seite 12

Siehe auch Seiten 4 und 10