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Mit Bettpfannen gegen Altherrenphantasien

Gehemmt, verklemmt, aber immer hübsch anzusehen: Frankreich auf dem Filmfest  ■ Von Birgit Glombitza

Während die Jean-Pierres und Jean-Philippes auf Großeidechsensuche in Manhattan nichts Besseres zu tun haben als zu rennen, hin und wieder „Merde!“ in die Katastrophenlandschaft von Godzilla zu schnauzen und Kaffee in einem Ton zu ordern, in dem die Amis bestenfalls den nächsten Tornado-Abschuß kommandieren würden, lassen die französischen Nachwuchsregisseure daheim viel dickere Eier ausbrüten. Und wer sich bei den Francofolies auf dem diesjährigen Filmfest Hamburg umschaut, findet einen Querschnitt durch ein Land vor, dessen eine Hälfte alle Hände voll zu tun hat, das französische Dauerabo auf mühsam verschnörkelte Leidenschaftsgesänge aufrechtzuerhalten, und dessen andere Hälfte mit anarchischer Freude die Bettpfannen dieser Altherrenphantasien ausschüttet und die sterblichen Überreste zur Besichtigung freigibt.

Am gründlichsten verfährt hier wohl Sitcom von Francois Ozon. Etwas ausgiebig suhlt sich der Film im Untergang bourgeoiser Verklemmungen. Eine Ratte knabbert hier die Etikette blank und bringt einer durchschnittlichen Großbürgerfamilie wildwuchernde Triebe, Tod und Verderben ein. Seitdem der Vater das ausgediente Labortier mitgebracht hat, beginnt ein wunderlicher Amoklauf der Überdomestizierten.

Die Tochter, eine erfolglose Selbstmörderin im Rollstuhl, erprobt ihren Selbsthaß in lustlosen S/M-Spielchen, der Sohn feiert im Körperroulette sein Schwulsein als anarchische Kraft. Und die frustrierte Mutter setzt sich mit dem ganzen Leib dafür ein, daß ihr Sohn doch noch zum normalen jungen Mann mit entsprechenden Erzeugerqualitäten gedeiht. Vergeblich, aus der Traum von der familiären Reproduktion. Und der Vater blickt meist stumm über dem Zeitungsrand herum. Bis die Ratte geröstet auf seinem Platzteller landet und mit ihrer Einverleibung erst recht zur dämonischen Hochform aufläuft. Sitcom kommt zwar in all seiner Enthemmung recht ausgeleiert daher, aber Francois Ozons Arbeit verleiht immerhin konsequent (wie übrigens auch sein Debüt See The Sea) dem Unbehagen an einer Filmkultur Ausdruck, die nicht müde wird, Gefühle und Leidenschaften wie stolze Haute Couture aufzubügeln. Halten andere Beiträge wie The School of Flesh von Benoit Jacquot oder die La-Noia-Adaption My Heroine von Cédric Khan den exklusiven Zugang zur weiblichen Leidenschaft hoch, erprobt Ozon den Ausnahmezustand. In I Stand Alone von Gaspar Noé rennen die Protagonisten ebenfalls wie tickende Zeitbomben durch ein Leben, in dem Empfindungen ebenso taub sind wie ein schlechtes Gewissen. Beispielhaft erzählt an einem haftentlassenen Pferdeschlächter, der seine schwangere Freundin nicht mehr erträgt und dem eigenen Daseinsekel nur noch mit der Kanone beizukommen weiß.

Auch Louise rennt durch Paris. Angetrieben von einer unbestimmten Sehnsucht streift die Schriftstellertochter durch die Kaufhäuser und klaut, was sie nicht braucht. Mit Anleihen bei Léos Carax' Die Liebenden von Pont Neuf und leider auch bei Luc Bessons Subway erzählt der Regiedebütant mit dem Namen Siegfried in Louise (Take 2) von der Hobbydiebin Louise und dem Gossenphilosophen Rémi. Und da ist sie dann wieder, die französische Liebesgeschichte. Aber wenigstens beginnt sie dort, wo sie vielleicht erst einmal neben anderem Ausgespuckten landen mußte. Unter der Brücke.

Louise (Take 2): morgen, 19.30 Uhr, Cinemaxx; Mo, 27. September, 22 Uhr, Zeise. Sitcom: Fr, 25., 20 Uhr, Abaton. Di, 29. September, 21.30 Uhr, Zeise. My Heroine: Di, 29., 19.30 Uhr, Zeise; Mi, 30. September, 17.30 Uhr, Cinemaxx. The School Of Flesh: Fr, 25., 19.30 Uhr, Zeise; Do, 27. September, 17 Uhr Abaton. I Stand Alone: Mi, 26., 19.30 Uhr, Cinemaxx; Do, 27. September, 22.30 Uhr, Abaton

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