Härtere Strafen sind sinnlos

■ Deutscher Jugendgerichtstag in Hamburg mahnt bessere Lebensbedingungen für Jugendliche und Immigranten an

Nur durch bessere Lebensbedingungen für Kinder und Jugendliche kann nach Ansicht von Rechtsexperten wachsende Jugendkriminalität bekämpft werden. Mit diesem Appell an die Politik ging gestern der 24. Deutsche Jugendgerichtstag in Hamburg zu Ende. Bei dem fünftägigen Treffen diskutierten mehr als 800 Richter, Sozialarbeiter, Polizisten und Wissenschaftler das Thema „Kinder und Jugendliche als Opfer und Täter – Prävention und Reaktion“. Gemeinsam forderten die Teilnehmer, jungen Tätern nicht durch immer härtere Strafen zu begegnen.

„Forderungen nach verschärften Strafen sind Fensterreden und keine konstruktive Jugendkriminalitäts-Politik. Sie lenken von den wirklich großen bedrängenden Problemen unserer Gesellschaft ab“, hieß es am Ende des Kongresses. Nur durch bessere soziale und wirtschaftliche Rahmenbedingungen könne Jugendkriminalität bekämpft beziehungsweise vermieden werden.

Arbeitslosigkeit, Armut, Perspektivlosigkeit und soziale Ausgrenzung seien die häufigsten Gründe, warum Kinder und Jugendliche straffällig werden. Ein großes Problem seien zudem „hochfrustrierte Immigranten, die in Deutschland keine soziale Chancen bekommen“, warnten die Experten.

Jeder zehnte Strafgefangene sei Aussiedler, obwohl diese nur vier Prozent der Einwohner ausmachten, berichtet der Kriminologe Christian Pfeiffer (Hannover). Soziale Integration von Ausländern gehöre deshalb mit zu den wichtigsten Aufgaben der Politik.

Ursache von Jugendkriminalität seien außerdem eigene Gewalterfahrungen in der Familie, sagte der Strafrechtler Bernd-Rüdeger Sonnen, Vorsitzender des Tagungsorganisators Deutsche Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen (DVJJ). Jedes sechste Kind erleide zum Teil schwerste Mißhandlungen. Nur drei Prozent der Fälle würden angezeigt. Deswegen forderten die Kongreßteilnehmer dringend die Abschaffung des elterlichen Züchtigungsrechts als „Signal des Gesetzgebers“.

Notwendig sei es auch, Prozesse gegen jugendliche Straftäter zu beschleunigen. „Es darf nicht sein, daß ein Straftäter auch im Sinne eines vernünftigen Täter-Opfer-Ausgleichs erst vier bis sechs Monate später vor einem Richter steht“, betonte Pfeiffer. Der pädagogische Effekt sei um so größer, je eher ein Täter mit seinem Vergehen konfrontiert werde.

Dazu sei nicht unbedingt eine Gesetzesänderung nötig, sondern Polizei, Gerichte und Sozialarbeiter müßten besser kooperieren.

Sandra Jessel