Rechtsgelehrte und die Baustelle

■ Der Juristentag ist eine Nagelprobe für Stadthalle und für Teilnehmer, die durch das Chaos am Bahnhof irren wie durch die Juristenausbildung

Die Herren in Anzügen, die mit ihren Aktenköfferchen über die Bürgerweide Richtung Stadthalle hasten, schauen erleichtert drein. Sie haben den Ort des Deutschen Juristentages gefunden und werden den Saal erreichen, noch ehe die ersten Eröffnungsworte gesprochen werden. Die Nachzügler, die sich fragend zwischen den Baustellenzäunen und provisorischen Wegen auf dem Bahnhofsplatz umsehen, dürften da weniger Glück haben.

Genau 103 Jahre ist es her, seit sich die deutsche Juristenzunft zum letzten Mal in Bremen versammelt hatte: 1895 tagte die Versammlung noch in der heutigen Glocke, Räumlichkeiten, die für den heutigen Andrang von mehr als 2.000 Rechtskundigen zu klein wären. Lange Jahre hatte Bremen keine Möglichkeit, eine so große Zahl von Kongreßgästen unterzubringen. Die Stadthalle war zwar schon immer groß genug für Massensitzungen wie die gestrige Eröffnung, aber erst das unterirdisch angeschlossene Kongreßzentrum bietet die nötigen kleineren Tagungssäle für die sechs Abteilungen und Platz für die Ausstellungen der Fachbuchhändler und Softwareanbieter.

Jedoch bleiben Teilnehmer nicht nur in der Unübersichtlichkeit vor den Hallen hängen, auch Gänge und Hallen sorgen für Orientierungsverlust. So mußte der Präsident des Deutschen Anwaltsvereins, Michael Streck, immerhin 20 Minuten den Raum suchen, ehe er für seine eigene Organisation zur Philippika gegen die überholten Grundsätze der Juristenausbildung anheben konnte. „Unser Problem sind die vielen Juristen, die Anwälte werden müssen“, sagte Streck. Weil sie in Zeiten von schleppender Einstellung bei Gerichten und Verwaltungen keine Alternative hätten, drängten sie in den Anwaltsstand. Dabei seien sie weder im Studium noch im Referendariat dafür ausgebildet worden, Sachverhalte zu ermitteln und Partei zu ergreifen, wie es als Anwalt nötig sei. Als Unternehmer für Rechtsberatung hätten sie keine Chance.

Nach dem ersten Examen müßten sich die Nachwuchskräfte entscheiden, ob sie eine Zukunft in der Verwaltung, als Richter oder als Anwalt anstrebten, fordert der Anwaltsverein. Dementsprechend müsse die Ausbildung angepaßt werden. Dabei ist durchaus denkbar, daß die Anwälte sich ihre benötigten Auszubildenden selbst aussuchten und auch bezahlten, wie das in anderen Berufsgruppen üblich ist. Wenn der Staat durch die Öffnung des Jura-Studiums mehr Absolventen als benötigt erzeuge, müsse er für diese auch weiterhin die Ausbildung finanzieren. jof