Das Bremer Wahl-ABC

■ Hat Bernd Neumann (CDU) im Osten tatsächlich schon verloren? Lohnt es, den Grünen die Erststimme zu geben?

Jürgen Dinse, Leiter des Statistischen Landesamtes, ist dieser Tage ein gefragter Mann. Kurz vor der Bundestagswahl am kommenden Sonntag steht sein Telefon nicht mehr still. „Ich bin nach Frankreich gezogen, darf ich trotzdem wählen?“ (Kein Problem, am besten per Briefwahl). „Was ist der Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme?“ wollen die Wähler von Dinse wissen. Das „kleine Bremer Wahl ABC“, das das Statistische Landesamt mit einer Auflage von 25.000 Stück herausgegeben hat, ist so gut wie vergriffen.

Knapp eine halbe Millionen (496.728) Wahlberechtigte sind am kommenden Sonntag im Land Bremen aufgerufen, ihre Stimme zur Bundestagswahl abzugeben. Drei Wahlkreise gibt es in Bremen. Mit der Erststimme wird ein Abgeordneter direkt aus dem Wahlkreis gewählt. Im Wahlkreis 50, Bremen-Ost (Hemelingen, Obervieland, Vahr, Östliche Vorstadt, Schwachhausen, Oberneuland, Horn-Lehe, Borgfeld und Osterholz), haben bei der letzten Bundestagswahl 69.007 BremerInnen Volker Kröning (SPD) ihre Stimme gegeben und ihn per Direktmandat nach Bonn geschickt. Bernd Neumann bekam 56.770 Stimmen. 19.605 wählten Marieluise Beck (Grüne). Warum der CDU-Landeschef Bernd Neumann Volker Kröning schon jetzt das Feld überläßt, ist also nicht ganz nachzuvollziehen. „Kröning wird den Direktwahlkreis Ost erobern, ich kann es nicht schaffen“, sagte Neumann in der Radio Bremen Sendung „Bremen 2000“. Bei vorangegangenen Wahlen fehlten der CDU in diesem Wahlkreis nur wenige Tausend Stimmen.

Im Wahlkreis 51, Bremen-West (Neustadt, Mitte, Huchting, Strom, Seehausen, Häfen, Gröpelingen, Blockland, Walle, Findorff und Woltmershausen), machte Konrad Kunick (SPD) bei der letzten Bundestagswahl mit 52.601 Stimmen das Rennen. Günter Niederbremer (CDU) wählten nur 29.005. Arend Hindriksen (Grüne) bekam 10.990 Stimmen. Hier hatte die SPD also einen deutlichen Vorsprung, der eine jahrzehntelange Tradition hat, so daß es für die CDU schwierig werden dürfte, den Sozialdemokraten das Direktmandat abzutrotzen.

Im Wahlkreis 52 (Burglesum, Vegesack, Blumenthal und die Stadt Bremerhaven) lag Ilse Janz (SPD) bei der letzten Bundestagswahl mit 66.303 Stimmen klar vorn. 43.931 Stimmen bekam Michael Teiser (CDU). Nur 9.861 Stimmen entfielen auf die Grünen. „Bei dieser Übermacht lohnt es nicht, den Grünen die Erststimme zu geben“, äußern viele Grünen-Wähler Bedenken. Die Reaktion der Grünen: „Erststimmen für Marieluise Beck sind ein Zeichen der Sympathie, in den Bundestag kommt sie damit allein aber nicht. Die Zweitstimme entscheidet.“ Stimmt. Aber wenn sich Wähler von der Übermacht anderer Parteien in den Wahlkreisen abschrecken lassen, wird es nie ein grünes Direktmandat aus Bremen geben.

Die Zweitstimme, die eigentlich wichtige, sichert einem Abgeordneten über die Landesliste das Ticket nach Bonn. 40.000 bis 50.000 Zweitstimmen braucht eine Partei, um einen ihrer Abgeordneten von Bremen nach Bonn zu schicken. Die Bremer Grünen, die mit einer roten Banderole mahnen: „50.000 Zweitstimmen für 1 Bremer Grüne Stimme“ wollen also auf Nummer sicher gehen. Ob sie nach Bonn dürfen, hängt außerdem davon ab, wieviele Stimmen die Grünen in den anderen Bundesländern sammeln. Ex-Wirtschaftssenator Claus Jäger braucht dagegen nur etwa 35.000 Stimmen für die FDP, um in den Bundestag zu kommen.

Woher kommt die Differenz? Die Zahl der Stimmen, die eine Partei braucht, um einen Abgeordneten nach Bonn schicken zu können, steht natürlich erst nach der Bundestagswahl fest. Die Rechnung, die FDP und Grüne jetzt aufmachen, beruht auf den Erfahrungswerten der letzten Bundestagswahl. 43.654 BremerInnen wählten 1994 die Grünen. Marieluise Beck durfte nach Bonn. Im Saarland hatten die Grünen 39.009 Stimmen – das war zuwenig für Bonn. Bei der Bremer FDP reichten die 28.409 nicht für ein Ticket in den Bundestag. In Mecklenburg-Vorpommern schafften es die Liberalen mit 33.436 Stimmen.

Entscheidend ist also unter anderem die Wahlbeteiligung in Bremen. Wenn sich diese an den Briefwählern ablesen ließe, dürfte es bei der kommenden Bundestagswahl eine hohe Wahlbeteiligung geben. 53.000 BremerInnen haben ihre Stimme bislang per Briefwahl abgegeben. „Das ist ein Rekord“, so Dinse. Auf eine mögliche Prognose zur Wahlbeteiligung will sich der Volkswirt allerdings nicht festlegen lassen. „Es sieht zwar so aus, als wenn die Wahlbeteiligung bei dieser Bundestagswahl einen Höchststand erreicht. Aber bei der Bürgerschaftswahl 1987 hatten wir 57.000 Briefwähler und die Wahlbeteiligung lag bei 75,63 Prozent.“ Wo er selbst am nächsten Sonntag sein Kreuzchen macht, verrät der Leiter des Statistischen Landesamtes, der von Amts wegen zur Neutralität verpflichtet ist, natürlich nicht. Zwar hat Dinse früher für die SPD im Beirat-Mitte gesessen. Auf sein Engagement angesprochen, weicht Dinse freundlich lächelnd aus: „Ich weiß noch gar nicht, was ich wähle“. Kerstin Schneider