"Man muß das ganz nüchtern sehen"

■ Der Politologe Göhler gibt Einzelbewerbern bei der Bundestagswahl keine Chance: "Ihnen fehlt der Apparat für einen Wahlkampf." Nötig seien viel Geld und ein großer Bekanntheitsgrad

Nachdem die taz zwischen dem 15.8. und 17.9. sieben der zehn Einzelbewerber, die zur Bundestagswahl antreten, porträtiert hat, äußert sich zum Abschluß der Einzelkämpfer-Serie der Politologe Gerhard Göhler (57) vom Otto-Suhr- Institut. Sein Arbeitsschwerpunkt ist politische Theorie.

taz: Wie hoch schätzen Sie die Chancen von Einzelbewerbern, in den Bundestag zu kommen?

Gerhard Göhler: Wenn es keine parteibezogenen Einzelbewerber sind, ist die Chance gleich null. Mir ist nie bekannt geworden, daß sie in irgendeiner Form eine Bedeutung hatten.

Woran liegt das?

Ihnen fehlt der ganze Apparat, den man für einen Wahlkampf braucht. Das kostet in erster Linie eine Menge Geld. Man muß optisch präsent und irgendwo zuordenbar sein. Da haben Bewerber, die von Parteien oder selbst von Bürgerinitiativen kommen, einen Riesenvorsprung. Insofern steht der Aufwand der Einzelkandidaten in keinem Verhältnis zu dem erwartbaren Erfolg. Ich glaube, in Systemen wie den USA, die nicht so parteienbezogen sind, ist das leichter.

Können Sie trotzdem einen Sinn darin sehen, auch wenn der Sprung in den Bundestag aussichtslos erscheint?

Ehrlich gesagt nein. Man muß das ganz nüchtern sehen. Ein Einzelbewerber könnte viel erreichen, wenn er entsprechendes Geld dafür einsetzt. Wenn jemand so viel Geld übrig hat, daß es ihm nicht wehtut – das kann sich ein Normalverdiener nicht leisten – könnte er es möglicherweise schaffen, wenn er in einen Wahlkreis gerät, wo die Politikverdrossenheit hoch ist und er schon bekannt ist.

Also alles nur eine Frage des Geldes?

Ich habe mit Absicht vom Geld gesprochen, denn die beste Bekanntheit und vielleicht die besten Voraussetzungen nützen überhaupt nichts, wenn man keine aberwitzigen Summen hineinstecken kann.

Sind Einzelbewerber das schlechte Gewissen der Nation oder Spinner?

Ich denke mir, daß es in vielen Fällen Profilierungssucht ist. Hier in Deutschland gibt es im Unterschied zu den USA kaum Mäzene, die Unsummen ausgeben für kulturelle Zwecke, mit denen sie sich auch profilieren. Die könnten, wenn sie wollten, in die Politik gehen und etwas bewegen und wären noch glücklich dabei. Aber diesen Typ gibt es bei uns sehr wenig. Das hängt mit der Mentalität und unserem Steuersystem zusammen. Deshalb vermute ich, daß Leute, die als Einzelbewerber durchkommen wollen, eher dem negativ zu bezeichnenden Typ angehören.

Ist es die Enttäuschung über etablierte Parteien oder sind es private Gründe, die zu dem Schritt führen?

Enttäuschung über die etablierten Parteien führt in der Regel zu der Gründung einer eigenen Partei. Wenn das der normale Weg ist, vermute ich bei Einzelbewerbern persönliche Gründe. Ich glaube, es ist nicht so schwer, und das wird immer gemacht, eine Initiative zu gründen, die mehr als eine Person umfaßt und nicht nur auf einen bestimmen Ort beschränkt ist.

Also wird es mit großer Wahrscheinlichkeit weder dieses Jahr noch in der Zukunft einen Einzelbewerber-Bundeskanzler geben?

Die Chancen sind kleiner, gleich null. Interview: Barbara Bollwahn