Wichtig sind nur die Schilder

■ Verkehrsverwaltung sorgt für Verwirrung um neue Radwegordnung

Ab 1. Oktober muß zumindest ein Teil der 820 Kilometer Radweg in Berlin nicht mehr benutzt werden. Dann tritt die zweite Stufe der Novelle der Straßenverkehrsordnung in Kraft, laut der ein Radweg bestimmte Voraussetzungen erfüllen muß: Er muß möglichst zwei, mindestens aber 1,50 Meter breit sowie in einem zumutbaren“ Zustand und als solcher gekennzeichnet sein. Wo kein Schild steht, darf künftig die Straße benutzt werden, muß aber nicht.

Die Verkehrsverwaltung hat den durch die Novelle erforderlichen Handlungsbedarf – nämlich das Auf- und Wegstellen von Schildern – offensichtlich erst spät erkannt. Man sei „überhaupt noch nicht“ soweit, alle Radwege überprüft zu haben, so Pressesprecherin Christiane Reetz auf Nachfrage. „Wir hoffen, bis Ende des Jahres damit fertig zu sein.“

Ferner werde nicht lediglich die Beschaffenheit der Radwege in Augenschein genommen. „Wenn sich herausstellt, daß sich Gefährdungspunkte ergeben, weil die Radwege nicht mehr benutzt werden, wird die Benutzungspflicht aufrechterhalten.“ Maßgeblich für den Radfahrer sei auch künftig nicht die Breite des Radwegs, sondern die Frage, ob er beschildert ist oder nicht. Im Klartext heißt das, daß die Verwirrung ab der kommenden Woche komplett ist. Dann müssen faktisch unzumutbare Radwege weiterhin befahren werden, weil dort Schilder stehen; gut ausgebaute Wege müssen nicht mehr benutzt werden, weil dort keine Schilder stehen. Für Radfahrer heißt es also: hingucken; für Autofahrer: nicht hupen, man weiß ja nie, ob der Radfahrer nicht rechtmäßig auf der Straße ist.

Der Berliner ADFC schätzt, daß nach Überprüfung aller Radwege etwa jeder zweite benutzungspflichtig bleiben wird. „Wir fürchten unnötige Konflikte auf der Straße“, so der ADFC-Sprecher Benno Koch, „weil erstens viel zu spät auf die Novelle reagiert wird und zweitens die Bevölkerung überhaupt nicht Bescheid weiß.“ Immerhin ist bei der Verkehrsverwaltung zur Zeit ein Faltblatt für Berliner Schüler in Arbeit.

Als weitere Kuriosität, die die Novelle mit sich bringt, werden dort, wo künftig Radfahrer die Wahl zwischen Straße und Radweg haben, die Radfahrerampeln abgeschafft – schließlich müßten sich sonst auch die Fahrer auf der Straße danach richten. Für die, die weiterhin den Radweg benutzen, heißt das, daß sie sich dann nach den Fußgängerampeln zu richten haben – und regelmäßig vor roten Ampeln stehen werden.

Um den Radfahrern immerhin ein Stück entgegenzukommen, fordert der ADFC, wenigstens die Ampelphasen auf der Straße den nur unwesentlich langsameren Radfahrern anzupassen. Immerhin, so der ADFC, könne auch Verkehrssenator Klemann seinen Worten einmal Taten folgen lassen: Der hatte im vergangenen Jahr erklärt, den Anteil der Radfahrer im Straßenverkehr von 6 auf 15 bis 20 Prozent erhöhen zu wollen. Jeannette Goddar