American Pie
: 16 lange Jahre sind zu Ende

■ American Pie: Ironman Cal Ripkens schier unendliche Serie endet rechtzeitig vor der seines ständigen Wegbegleiters Helmut Kohl

Jack Flash sat on a candlestick

Noch mehr schlechte Nachrichten für Helmut Kohl (68). Mit Cal Ripken Jr. (38) hat ihn nun der einzige Mensch im Stich gelassen, der eine ähnliche Ausdauer im Aussitzen wie der Bundeskanzler bewies. 16 Jahre lang verpaßte Ripken kein einziges Pflichtspiel seines Klubs Baltimore Orioles. Aber am 20. September entschied der Baseball- Profi, seine 2.632 Spiele währende Serie, die ihm den Spitznamen Ironman eintrug, zu beenden, und bat Ray Miller, Manager der Orioles, ihn am Abend gegen die New York Yankees nicht aufzustellen: „Ich denke, es war der richtige Moment.“

Während Kohl 16 Jahre lang immer wiedergewählt wurde, war Ripken niemals krank oder verletzt genug, überwarf sich nicht mit dem Trainer und war nie zu schlecht, um nicht aufgestellt zu werden. Trotzdem war der „Streak“, wie die Serie in der US- amerikanischen Öffentlichkeit nur mehr genannt wurde, zum Schluß zu einer Belastung für Ripken und die Orioles geworden. Baltimore gehörte in den letzten beiden Jahren zu den vier Baseball-Klubs mit der dicksten Gehaltsliste, aber konnte sich nicht für die Play-offs qualifizieren. Vor allem in der ersten Hälfte dieser Saison, als die gutbezahlten Stars der Orioles allesamt grauenhaft spielten, aber das unerwartet schlechte Abschneiden vor allem an Ripken festgemacht wurde, wuchs die Kritik an ihm, er sei nur an seinem Rekord interessiert und das Team müsse darunter leiden. Mit einer soliden zweiten Saisonhälfte brachte er zwar die Kritiker zum Verstummen, aber zufrieden war er nicht: „Jeder kennt mich als den Typen, der all die Spiele gespielt hat, aber niemand für meine Leistungen auf dem Feld.“

Der Entschluß, dem „Streak“ ohne Not ein Ende zu setzen, kam trotzdem überraschend. Nach dem Spiel, das er auf der Ersatzbank verbrachte, mußte er feststellen: „Ich fühle mich nicht erleichtert. Jetzt, wo ich weiß, wie es ist, möchte ich noch viel weniger auf der Bank sitzen und zuschauen.“ Genau das könnte in der kommenden Saison zum Problem werden, denn während Ripken der Meinung ist, daß er noch ein paar Jahre weitermachen könnte, beobachten die Verantwortlichen der Orioles mit Sorge, wie ihre hoffnungsvollsten Nachwuchsspieler immer älter werden. Ryan Minor, der Ripken als Third Baseman beerben soll, ist schon 24.

Ein Nachfolger für Ripkens Beständigkeit ist allerdings nicht in Sicht: Ausgerechnet der zum Durchdrehen neigende Albert Belle, Inbegriff des charakterschwachen Sportmillionärs, hat mit 328 Spielen den aktuell längsten „Streak“ zu laufen. Belle gibt sich trotzdem optimistisch: „Ich spiele solange, bis ich wieder mal gesperrt werde.“

Ripkens langjähriger Wegbegleiter Kohl müßte nun schon die Wahl am kommenden Sonntag gewinnen und noch eine weitere Legislaturperiode dranhängen, um Ripken einzuholen. Während der seine Serie am 30. Mai 1982 begann, wurde Kohl erst am 1. Oktober 1982 vom Bundestag gewählt. Thomas Winkler