Bill Clinton zeigt eine Tugend: Ausdauer

In den Vereinigten Staaten ist die Ermordung von Präsidenten üblicher als deren Rücktritt. Nur Richard Nixon nahm bislang von sich aus den Hut. Ein Rücktritt Bill Clintons hätte weitreichende Folgen  ■ Aus Washington Thomas Rüst

Als Alexander Hamilton 1787 das US-amerikanische Volk überzeugen wollte, der Verfassung zuzustimmen, nannte der Mitgründer die „Ausdauer“ Amerikas als wichtigste Eigenschaft für das höchste Amt. Sie allein könne jene Energie hervorbringen, die in der Exekutive zur Führung des Landes notwendig sei. Seit Hamiltons Essay haben nur neun Präsidenten ihre Amtszeit nicht beendet, davon nur einer durch Rücktritt: Richard Nixon 1974.

Über 100 Zeitungen haben in den letzten Tagen die Forderung in Kommentaren erhoben, Dutzende von republikanischen Abgeordneten verlangten öffentlich die rasche Abdankung Clintons, und viele Demokraten rechnen mindestens insgeheim mit einem vorzeitigen Ende der Ära Clinton.

Klar: Ein Rücktritt, noch dazu vor dem Beginn eines Amtsenthebungsverfahrens, bildet den saubersten Schnitt. Clinton könnte eines Tages ganz einfach vor die Kameras treten und dann – das Bild Nixons vor Augen – zum wartenden Helikopter schreiten.

Das allerdings hätte Folgen: Da die US-Regierung nicht als „Ministerialbürokratie“ mit gewählten Amtsträgern an der Spitze ausgestattet ist, würden mit Clinton die meisten Kabinettsmitglieder, Topbeamten sowie die Botschafterinnen und Botschafter ihre Sessel räumen. Die designierten Nachfolger ihrerseits hätten – wie zu Clintons turbulentem Beginn 1993 – das Prozedere öffentlicher Begutachtung zu durchlaufen und die Bestätigung durch den Senat.

Am besten auf sein Amt vorbereitet wäre ohne Zweifel der Clinton-Nachfolger selbst: Gore war in den letzten Jahren so nahe an den Amtsgeschäften wie kein Vizepräsident der neueren Zeit. Der 50jährige ist nicht nur Clintons engster politischer Berater. Gore hat längst seine eigenen Vertrauten in der Administration plaziert. Der Vize bereitet sich bereits seit Monaten auf eine eigene Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2.000 vor. Kleine Finesse: Bei einem Rücktritt Clintons vor dem 20. Januar 1999 könnte Gore nicht für eine zweite reguläre Amtsdauer wiedergewählt werden, da laut Verfassung ein Präsident längstens zehn Jahre im Amt bleiben kann.

Falls Clinton im Amt bleibt, zum Beispiel indem er eine Abstimmung im Senat über seine Amtsenthebung übersteht, wird der Präsident in der restlichen Zeit bis zum 20. Januar 2001 ohne das wichtigste innenpolitische Kapital eines Präsidenten auskommen müssen: die Autorität seiner eigenen Person, die mit dem Amt untrennbar verbunden ist. Ohnehin liegen Clintons „historische“ Marken – etwa die Beseitigung der Defizite, die Reform des Sozialsystems, das Freihandelsabkommen mit Mexiko – in der ersten Amtszeit, während die zweite bisher stark von Alltagsthemen für den propagandistisch-politischen Hausgebrauch dominiert war.

Das Gesetz des Handelns liegt – abgesehen vom Rücktrittsentscheid – nicht mehr beim Präsidenten. Und im Kongreß selbst ist nur das verfassungsrechtliche Vorgehen vorgezeichnet. Voraussichtlich Anfang Oktober wird der Justizausschuß des Repräsentantenhauses entscheiden, ob ein Verfahren zur Amtsenhebung eröffnet werden soll. Wenn der Beschluß vom Plenum bestätigt wird, werden Hearings stattfinden, während parallel dazu am 3. November Wahlen für das Repräsentantenhaus und einen Teil des Senats stattfinden.

Über diese Phase I besteht die größte politische Unsicherheit, weil nicht vorauszusehen ist, welche Dynamik Wahlen und gleichzeitig stattfindende Hearings annehmen. Daher gibt es Diskussionen über einen Deal, der darin bestehen könnte, daß Clinton lediglich „ermahnt“ würde. Das Problem besteht darin, daß so eine Rüge gegen den Präsidenten verfassungsrechtlich nicht vorgesehen ist.

Wer könnten die Gewinner in dieser Phase I sein? Die Republikaner sind sicher, daß die Affäre den Demokraten schadet, weil viele demokratische Wählerinnen und Wähler aus Wut und Enttäuschung über ihren Präsidenten am 3. November zu Hause bleiben werden und damit die Kandidaten in ihrem Wahlkreis für Clintons Verhalten bestrafen. Doch einige Konservative sehen auch negative Folgen für die Republikaner voraus, da durch den Skandal die Politik insgesamt in Verruf gerate. Demokraten ihrerseits befürchten, daß Clinton die Partei über 1998 um Chancen geprellt hat, die Mehrheit im Parlament zurückzugewinnen, zum Beispiel gleichzeitig mit den Präsidentschaftswahlen im November des Jahres 2.000.

Falls die Affäre in den nächsten zwei Monaten nicht mit einem „Deal“ aus der Welt geschafft wird, wird es eine Phase II geben, nämlich den Tag, an dem das Repräsentantenhaus darüber abstimmt, ob ein Antrag auf Amtsenthebung beschlossen werden soll. Wenn keine Mehrheit dafür zustande kommt, ist das Impeachment-Verfahren erledigt. Wenn doch, muß der Senat abstimmen.

In der Geschichte der USA ist allerdings nur ein einziges Mal das Schicksal eines Präsidenten mit einem Votum des Senats entschieden worden – und Andrew Johnson blieb 1868 wegen fehlender Zweidrittelmehrheit im Amt.